Paloma
Blick über die Insel bot und obwohl der typische Dunstschleier des Sommers über Magali hing, fand Karen die Aussicht beeindruckend. Fast bis zum Inselende lag Magali einem zu Füßen und man bekam ein Gefühl dafür, wie klein die Insel war. Nicht zu übersehen waren allerdings auch die touristischen Gebiete, die Hotel- und Apartmentanlagen, die teilweise von größerer Ausdehnung waren als San Lorenzo, die Hauptstadt der Insel.
„Lass uns das mal aus der Nähe anschauen“, sagte Karen.
„Muss das unbedingt sein?“
„Ach komm. Mir zuliebe. Ich war noch nie in Gegenden mit Massentourismus.“
„Wahrscheinlich aus gutem Grund.“
„Kann schon sein. Möglicherweise bin ich deshalb nie in die Mittelmeergebiete gefahren.“
„Ich denke, es war wegen der Hitze.“
„Natürlich, das auch.“
Philipp spürte Karens Gereiztheit. Und auch er hatte schon bessere Momente gehabt hier oben. Irgendwie kam er sich wie betrogen vor. Es enttäuschte ihn, dass Karen sich jetzt, wo die Insel sich unter ihr ausbreitete, nur für die Touristenghettos interessierte. Die spröde Schönheit der Insel, diese fast afrikanisch anmutende Landschaft, die es ihm vom ersten Augenblick angetan hatte, entging ihr wohl. Vermutlich hatte sie weder Blick noch Gefühl dafür. Er versuchte deshalb mit ihren Augen zu sehen, versuchte zu sehen, was sie sah. Die vom Staub wie gepudert aussehenden Nadeln der Pinien, die Mastixsträucher mit ihrem säuerlichen Geruch. Das karge, steinige, ausgedörrte Land, von allen Seiten vom Wasser umgeben. Aber er spürte nur, wie sehr er das alles liebte und fand deshalb auch kein Verständnis für Karen. Um sich und ihr den Ausflug nicht ganz zu verderben, lenkte er ein.
„Gut, gehen wir. Stürzen wir uns ins „Eisbein mit Sauerkraut“.“
„Wie bitte?“
„“Wiener Schnitzel“ kriegst du da unten bestimmt auch. Und deutsches Bier. Das vor allem.“
„Ach komm, Philipp. Wir fahren da runter und schauen uns alles an und amüsieren uns darüber, ja?“
„So lustig find ich das nicht.“
Sie waren jetzt wieder beim Auto. Philipp hatte es in den Schatten eines Johannisbrotbaumes gestellt. Der Boden darunter war bedeckt mit den rotbraunen länglichen Früchten.
„Ich glaube, du bist einfach zu empfindlich“, sagte Karen.
„Findest du?“
„Ja. Ich weiß, damals als du dein Haus gebaut hast, sah es auf Magali noch anders aus. Glaub mir, ich kann mir vorstellen, wie dir zumute war, als der ganze Rummel hier losging. Aber was du jetzt machst, grenzt ja schon an Totalverweigerung. Erst kaufst du hier Land, baust mit viel Liebe ein Haus und weil dir nicht passt, was in deiner Nähe passiert, gibst du das Haus praktisch auf und kommst jahrelang nicht mehr her.“
Philipp war klar, dass Karen ihn herausfordern wollte. Dass sie es schon seit vergangener Nacht darauf anlegte. Um dem ein Ende zu machen, sagte er: „Das allein war es nicht.“
Karen wandte ihm ihr Gesicht zu, das vor Hitze gerötet war. Er sah ihren Blick trotz der dunklen Sonnenbrille.
„Genau das hab ich befürchtet.“
Sie stiegen ein, und Philipp sah wie zerknittert Karens weißes Leinenkostüm war und den Staub auf ihren schwarzen Sandalen.
Ohne zu antworten, fuhr er los, damit sie rasch wieder auf die Landstraße kamen, wo der Fahrtwind ein wenig Abkühlung bringen würde.
Karen stützte sich am Handschuhfach auf, um die Stöße des unebenen Weges aufzufangen. Sie blickte ihn nicht an, als sie weitersprach.
„Es ging um das Mädchen. All die Jahre lang. Um nichts anderes. Du hast sie wiedergesehen, damals, kurz nachdem wir geheiratet hatten und wir unsere Flitterwochen um ein paar Tage aufschieben mussten. Und wahrscheinlich hast du es damals schon bereut, dass du mich geheiratet hast. Gib es ruhig zu.“
„Was erwartest du jetzt?“, antwortete Philipp. „Soll ich sagen, ja, du hast Recht? Nur damit du fragen kannst, warum wir uns dann nicht schon längst getrennt haben?“
Es war das erste Mal während all der Jahre, dass sie über Paloma redeten. Philipp vermutete, dass Bobby irgendwann einmal eine Bemerkung darüber hatte fallen lassen, möglicherweise hatte sie Paloma seine unglückliche Liebe genannt. Er hatte Bobby von Paloma erzählt, wenn auch nicht alles.
„Weich mir nicht aus.“
„Ich weich dir nicht aus. Ich halte es nur für sinnlos, darüber zu reden. Das ist alles.“
„Sag mir wenigstens, warum du mich geheiratet hast und nicht dieses Mädchen.“
„Karen, bitte ...“
„Die
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