Paloma
gewachsen war und machte sich deshalb eines Abends auf den Weg nach Porto Saler zur alten Antonia. So schwerfällig und unbeweglich diese auch war – wenn sie im Auto ihres Neffen saß, senkte sich der Wagen unter ihrem Gewicht – war sie doch mit allen Wassern gewaschen, sobald es um Pesetas oder Grundstücke ging.
Paloma hatte sich nie etwas vorgemacht, was die alte Antonia anging. Von Anfang an hatte sie erkannt, nicht aus reiner Hilfsbereitschaft oder Nächstenliebe hatte Antonia angeboten, ihre Schafswollpullover in San Lorenzo zu verkaufen. Die alte Antonia gab nur dann etwas, wenn sie es doppelt und dreifach zurückbekam. Um es ganz direkt zu sagen, sie war der geldgierigste Mensch, den Paloma je kennen gelernt hatte. Und sie hatte ganz schön was zusammengescharrt in den vergangenen Jahren. Wirklich reich war sie allerdings erst durch den Verkauf einiger ihrer Grundstücke geworden. Ehemals wertloses Land hatte ihr Millionen Pesetas gebracht.
Niemand wusste, was eine Frau in ihrem Alter, noch dazu kinderlos, dazu trieb, so dem Geld hinterher zu jagen. Aber vermutlich hatte sie einfach Spaß daran und sie mochte wohl auch an ihre drei Neffen denken, die sie groß gezogen hatte. Alle drei fleißige junge Männer, die sich geradezu ein Bein ausrissen, ihr den Hof in Ordnung zu halten und ihre Felder zu bestellen. Und ihr auch sonst das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Immerhin ging es mittlerweile um ein ordentliches Stück Besitz, das der oder die Erben zu erwarten hatten.
Antonias Hof war einer der größten der Insel und mit Abstand der schönste. Nicht zuletzt dank ihrer fleißigen Neffen. Dazu lag der Hof in einer geradezu einmalig schönen Landschaft. Am Rand eines leicht hügeligen Tals mit fruchtbarem rotem Boden, auf dem seiner geschützten Lage wegen sogar eine kleine Orangenplantage gedieh. Am meisten wurde Antonia jedoch um die Zypressen-Allee beneidet, die sich in schnurgerader Linie bis zum Eingang ihres Hauses hinzog. Noch hatten die Bäume ihre volle Höhe zwar nicht erreicht, aber sie verliehen bereits jetzt dem ganzen Anwesen eine geradezu hochherrschaftliche Würde. Weshalb sich denn auch etliche Leute Zypressen vom Festland kommen ließen. Keiner außer Antonia hatte die jungen Bäume jedoch über den ersten Sommer gebracht. Böse Zungen behaupteten, und kamen damit der Wahrheit wohl ziemlich nahe, dass die Zypressen-Allee Antonia hunderte Liter Wasser kostete.
Als Paloma auf dem Hof eintraf, thronte die alte Antonia gerade in einem Korbsessel auf ihrer Veranda und kühlte ihre geschwollenen Beine in einer Schüssel Wasser. „Gut, dass du kommst“, rief sie Paloma zu. „Du ersparst mir damit einen Weg, weil ich sowieso mit dir reden wollte.“
„Worüber denn?“
„Ach, setz dich erst einmal. Nein, hilf mir lieber erst hoch, ich muss dir was zeigen.“
Paloma reichte ihr eine Hand, worauf sie ihren schweren Körper stöhnend und seufzend in die Höhe zog. Paloma hatte nie verstanden, wieso ein Mensch, der so schlau war in geschäftlichen Dingen, sich derart voll stopfen konnte. An die rätselhaften Krankheiten, die schuld daran sein sollten, dass Antonia so dick war, glaubte Paloma nicht. Langwierige, fürchterliche Krankheiten, weswegen sich so manch einer bereits fragte, wieso Antonia überhaupt noch am Leben war.
Hauptsächlich hatten jene Krankheiten wohl mit der jungen Französin zu tun, die Antonia eines Tages in San Lorenzo kennen gelernt hatte. Eine dünne, kleine, recht verwahrlost aussehende Frau von noch nicht einmal dreißig Jahren, die tagelang in der Bar El Centro herumlungerte. Kaum hatte Antonia erfahren, die junge Frau sei Medizinstudentin, ließ sie diese zu sich kommen. Bereits wenige Tage später bezog die junge Frau ein geräumiges Zimmer auf Antonias Hof. Wo sie nichts weiter zu tun hatte, als Antonia von entsetzlichen und unheilbaren Krankheiten zu erzählen.
Nach Antonias Tod, sie starb zur Überraschung aller nicht an einer ihrer diversen Krankheiten, sondern nach dem Stich einer Wespe, die vermutlich in ihrer Honigmilch schwamm, heiratete die Französin einen der Neffen von Antonia. Mittlerweile war aus dem dünnen Mädchen mit den strähnigen Haaren eine ansehnliche Frau geworden. Sie hielt es jedoch nicht allzu lange bei ihrem Ehemann aus. Eines Tages verschwand sie und mit ihr ein Teil des Geldes, welches die alte Antonia ihrem Neffen hinterlassen hatte. Es hieß, sie sei nach Frankreich zurückgekehrt, um ihr Medizinstudium wieder
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