Pan Tau
Rathausuhr, auf dem Dach des Rathauses, auf einem der 155 Türme des Veitsdoms am Hradschin. Beide Fahnder (Fleming und Anderson, nachfolgend F + A genannt) neigen zur dritten Möglichkeit.
Grund 1: Ausgezeichnetes Versteck in einem der vielen gotischen Wasserspeier am Veitsdom.
Grund 2: P. T.’s Mißgeschick in dem Augenblick, als sich über Prag ein Wolkenbruch ergießt (Aussage des Zeugen Kai, 5).
Aussage des Zeugen Kai, Seite 3:
Als ich geniest hatte, steckte er den Kopf mit Melone raus. W ahr-scheinlich ist er ins Wasser gefallen. Aber er kroch bereits heraus. Ich bin auch ins Wasser gefallen, weil mich dieser große Hund hineingeschubst hat.
(Bemerkung: Die Begegnung fand unter einer Brücke statt. Mit dem Wasser ist der Fluß Moldau gemeint.)
Das Notizbuch enthielt zwei mit rotem und blauem Stift dicht beschriebene Seiten. Vivian blätterte noch eine Weile darin, dann warf sie gähnend das Notizbuch ins Handschuhfach zurück. Gelangweilt sagte sie:
»Vermutungen! Möglichkeiten! Quincy versteht das, ich nicht. Ich habe nur begriffen, daß P. T. mit einem Regenschirm über Prag geflogen ist und sich in einem der gotischen Wasserspeier versteckt hat, als ein Wind aufkam. Das aber hätte er nicht tun sollen. Es begann nämlich zu regnen. P. T. wurde von dem Wasser mitgerissen und landete in der Moldau. Als er sich mühsam aus dem Wasser herausarbeitete, entdeckte er den ebenso bis über die Ohren nassen Knaben Kai, den ein großer Hund ins Wasser geschubst hatte. Ist es so?«
»Nur annähernd. Da Sie keinen Respekt vor Notizen haben, vereinfachen Sie zu sehr. Hätten Sie die Aussage von Kais Mutter durchgelesen, wüßten Sie, daß die Geschichte des Jungen schon vor seiner Begegnung mit Pan Tau begann. Ungefähr um 14.20 Uhr, also zu einem Zeitpunkt, als Pan Tau noch mit seinem Regenschirm über Prag flog.« »Ich weiß.« Vivian gähnte zum zweitenmal. »Erzählen Sie lieber! Sie brauchen übrigens nicht schneller zu fahren. Ich glaube ohnehin nicht mehr, daß Sie die Schildkröte finden.«
»Wie ich schon sagte.« Ich war durch den Einwurf etwas irritiert. »Es war 14.20 Uhr. Kai ging mit der Mutter einkaufen. Stellen Sie sich vor: Um 14.20 Uhr geht neben einer adrett gekleideten Mutter ein adrett gekleideter Junge. Er trägt schneeweiße Schuhe und schneeweiße Söckchen. Um 14.22 Uhr sind seine Schuhe und Socken dreckig, denn er hat vor der Bäckerei, wo die Mutter Brot kaufte, eine Regenpfütze entdeckt. Um 14.25 Uhr läuft er einem Spritzwagen nach. Von dem Spritzwasser sind nun auch Hose und Hemd naß. Der Junge selbst ist wasserdicht. Um 14.30 Uhr findet ihn die Mutter im Goldfisch-Bassin, wo er ein Papierschiffchen fahren läßt. Für einen fünfjährigen Jungen ist das eine recht beachtliche Leistung, das müssen Sie zugeben!«
»Da bin ich anderer Ansicht. Wäre ich seine Mutter...«
»Was hätten Sie getan?«
»Wahrscheinlich...« Vivian seufzte. Muttererfahrungen fehlten ihr. »Was hat also seine Mutter getan?«
»Sie sagte bloß: Kai!!!«
»Mehr nicht?«
»Mehr nicht. Sie hatte nämlich keine Zeit mehr, noch etwas zu sagen, denn eben erhob sich ein Wind, es begann zu regnen, und die Mutter packte Kai an der Hand und lief mit ihm nach Hause. Quer durch alle Pfützen. Und dann ärgerte sie sich darüber, daß Kai triumphierend sagte: Siehst du, jetzt wäre ich ohnehin naß geworden! Es war die lautere Wahrheit. Doch die Mutter antwortete: Aber erst jetzt! So sind sie eben, die Mütter...«
Die Fortsetzung der Erzählung hätte heißen können: Der ärgerliche Knabe Kai. Vivian schrieb diese Fortsetzung später um und machte daraus das Drehbuch vom wasserdichten Knaben Kai.
Bild 7
Wohnung, Studioaufnahmen.
Es regnet nicht mehr. Die Mutter hat jetzt alle Hände voll zu tun. Auf einer Leine im Badezimmer hängen Kais gewaschene Socken, sein Hemd und seine Hose. Der ärgerliche Knabe Kai ärgert sie natürlich auch hier.
Der ärgerliche Knabe Kai: Darf ich raus, Mammi? Die Jungs wollen eine Talsperre bauen... Mammi... Es regnet nicht mehr... Mammi...
Die Mutter:
Weißt du, wie du aussehen würdest, in diesem Schmutz draußen?
Die Mutter tut Waschpulver in die Wanne. Es wartet viel Arbeit auf sie. Wäschewaschen. Bügeln. Abendessen kochen.
Sie läuft zum Telefon. Hinter ihr Schluchzen und leere Versprechungen.
Telefon klingelt.
Der ärgerliche Knabe Kai:
Ich mach’ mich nicht dreckig... Mammi...
Er hört auf zu flennen. Er dreht sich um und sieht die Wanne voll Wasser. Am
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