Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
stand das Anwesen von Lady Sarka: ein schwarzer Kasten, der nur dann zu sehen war, wenn am Himmel ein Blitz zuckte.
Er kämpfte sich die Straße hinauf, zog sich an der Mauer hoch und sprang in den Garten. Geduckt lief er zum Gesindeflügel und verbarg sich hinter einem Strauch.
Zwei Spiegelmänner standen vor der Tür, reglos, als könnte ihnen das Unwetter nichts anhaben. Ihre Kutten flatterten im Wind.
Lucien blickte zum Fenster des Jungen. Zu nah. Wenn er an die Scheibe klopfte, würden die Wachen ihn bemerken. Er musste einen unauffälligeren Weg finden.
Er huschte zur anderen Seite des Gebäudetrakts und spähte in die Fenster, bis er ein Zimmer fand, in dem niemand schlief. Mit klammen Fingern löste er einen Stein aus dem gepflasterten
Weg und schlug die Scheibe ein. Das Glas splitterte ohrenbetäubend, aber vielleicht waren Sturm und Donner laut genug, dass niemand es gehört hatte.
Er kletterte am Efeu empor und hielt sich am Sims fest, während er das Fenster öffnete. Flink schlüpfte er hinein und konzentrierte sich, bis er die Präsenz des Jungen klar und deutlich spürte.
Ihm blieb nicht mehr viel Zeit.
32
Klauen und Zähne
R egen prasselte gegen das Fenster, begleitet vom Rauschen des Windes in Büschen und Baumkronen.
Jackon lag in seinem Bett und starrte in die Dunkelheit. Er war so müde, dass seine Augen brannten, aber schlafen konnte er nicht. Über eine Stunde schon wälzte er sich herum, ohne Ruhe zu finden.
Seit zwei Tagen konnte er an nichts anderes denken als an seine Begegnung mit Aziel und seine Flucht durch das gespenstische Schloss. Warum nur hatte er den Palast betreten? Wieso hatte er nicht auf Lady Sarka gehört und sich davon ferngehalten? Es war ein dummer Fehler gewesen, natürlich, ein leichtsinniges Versehen, das er allein seinem Übermut verdankte. Aber das half ihm auch nicht weiter. Vermutlich suchte der Herr der Träume bereits nach ihm, und alles, was er zu seinem Schutz besaß, war ein silberner Anhänger.
Jackon berührte den Drudenfuß unter seinem Schlafgewand. Der Palast ist sicher , sagte er sich. Sicherer als jeder andere Ort in Bradost. Überall stehen Spiegelmänner Wache. Und Corvas, Umbra und Amander sind auch noch da. Selbst wenn Aziel mich hier findet, er kann mir nichts antun.
Doch so sehr er sich auch an diesen Gedanken klammerte, besser fühlte er sich nicht.
Denn Aziel war beileibe nicht sein einziges Problem. Mit seinem Fehler hatte er alles zerstört, was er in den vergangenen
Wochen erreicht hatte. Er konnte die Ausbildung nicht fortsetzen und seine neu erworbenen Kräfte nicht mehr benutzen, obwohl er gerade begonnen hatte, seine Macht zu genießen. Er war für Lady Sarka nutzlos geworden. Ein Wunder, dass sie ihn noch nicht zum Teufel gejagt hatte. Vermutlich gewährte sie ihm nur deshalb weiterhin Obdach und Schutz, weil sie hoffte, den Schaden, den er angerichtet hatte, irgendwie aus der Welt schaffen zu können. Allerdings zweifelte er nicht daran, dass sie die Geduld mit ihm verlieren und ihn in die Kanäle zurückschicken würde, sollte sich herausstellen, dass sie nichts für ihn tun konnte. Und dann wäre er wieder ein Schlammtaucher, ohne Heim, ohne Freunde, ohne Zukunft.
Der Trank, den er jeden Abend vor dem Zubettgehen einnehmen musste, trug auch nicht gerade zu seinem Wohlergehen bei. Die Substanz machte ihn unruhig und nervös, sodass er Stunden brauchte, um einzuschlafen. Und wenn er endlich einnickte, fühlte es sich an, als würde er in einem bodenlosen schwarzen Loch versinken. Am nächsten Morgen dann war er noch erschöpfter als am Abend zuvor; außerdem begannen seine Gedanken ein seltsames Eigenleben zu entwickeln.
Wurde er allmählich verrückt? Wie lange konnte ein Mensch ohne Träume auskommen, ehe er den Verstand verlor?
Jackon drehte sich auf die andere Seite. Schlaf endlich! , dachte er. Doch schon im selben Moment begann die Grübelei von Neuem.
Er setzte sich auf, als er ein Geräusch hörte. Es hatte sich angehört wie das Bersten von Glas. Vielleicht hatte der Sturm irgendwo ein Fenster beschädigt. Er beschloss nachzusehen. Das war allemal besser, als sich im Bett herumzuwälzen.
Er stand auf, schlüpfte in seine Kleider und zündete eine Kerze an.
Ein leises Knarren erklang. Im Licht der Flamme sah er, dass sich seine Tür öffnete. Jemand kam herein, ein Mann.
»Wer …«, begann Jackon und verstummte. Das Gesicht des Fremden war schwarz wie Ebenholz. Das lange, weiße Haar klebte nass und strähnig
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