Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
brennende Zunderstück daranhielt.
»Wenigstens sitzen wir jetzt nicht mehr im Dunkeln«, sagte er.
Mit einer Mischung aus Unglauben und Bewunderung für Jackons Geistesgegenwart sah Liam zu, wie dieser die Zunderbüchse einsteckte. »Die Decke stürzt ein, und das Erste, woran du denkst, ist das Ding da?«
»Unter der Erde ist man ohne Licht verloren«, erwiderte der Rothaarige entschieden.
Im Fackelschein sahen sie sich die verschüttete Türöffnung an. Liam versuchte gar nicht erst, sie freizulegen. Geröll und große Mauerstücke bildeten eine undurchdringliche Wand, hinter der sich wahrscheinlich Tonnen von Erde auftürmten. »Hier kommen wir nicht raus.«
Jackon blickte in die Dunkelheit des Tunnels. »Vielleicht gibt es noch einen anderen Ausgang.«
Die Aussicht, ein vergessenes Laborgebäude zu durchsuchen, das außer baufälligen Kellerräumen vielleicht noch viel schlimmere Gefahren enthielt, war nicht gerade verlockend. Aber was hatten sie schon für eine Wahl? Selbst wenn die Palastbewohner den Gewölbeeinsturz inzwischen bemerkt hatten und sich umgehend auf die Suche nach ihnen machten, würde es möglicherweise Tage dauern, bis sie den Schutt beseitigt hatten.
»Sehen wir uns an, wohin der Tunnel führt«, sagte Liam und ging mit der Fackel in der Hand voraus.
Der Keller war nicht sonderlich groß. Er bestand aus mehreren Gewölberäumen, von denen zwei teilweise eingestürzt waren. Die anderen enthielten alte Kisten, rostige Stahlfässer, aus denen seltsam riechende Substanzen sickerten, und Schränke aus Blech und morschem Holz voller Plunder. Eine Treppe
hatte an der Wand eines runden Raumes entlang nach oben geführt, doch jetzt waren von den Stufen nur noch gesplitterte Stümpfe übrig, die aus dem Mauerwerk ragten. Alles war voller Moder, Schimmel und schmieriger Feuchtigkeit. Ihre Fackel drohte mehrmals auszugehen, so schwach brannte sie in der dicken und klebrigen Luft.
Sie suchten Raum für Raum ab, in der Hoffnung, dass diese Gewölbe mit dem Palastkeller verbunden waren. Doch alles, was sie fanden, war ein zugemauerter Durchgang.
Niedergeschlagen setzte sich Liam auf eine Kiste. »Und jetzt?«
Jackon trieb sich im hinteren Teil des Raumes herum. Aus einem Tischbein und einigen halbwegs trockenen Lumpen hatte er sich eine zweite Fackel gemacht. »Du darfst nicht so schnell aufgeben.«
Es war Liam schon vor einer Weile aufgefallen, dass die Dunkelheit und die stickige Luft seinem Gefährten nicht halb so viel ausmachten wie ihm. Manchmal erschien es ihm sogar, als würde sich Jackon hier unten wohlfühlen. »Vergiss es. Wir sitzen fest.«
»Glaube ich nicht.« Der Rothaarige zwängte sich durch die kaum anderthalb Schritt hohe Öffnung, die in den Nebenraum führte. Liam seufzte.
Er hatte mit allen möglichen Gefahren gerechnet, als er in den Palast gekommen war, hatte sich damit abgefunden, dass er vielleicht von den Spiegelmännern getötet oder von Corvas ins Gefängnis geworfen wurde, wenn er einen Fehler machte. Niemals wäre er auf die Idee gekommen, dass ihm ein dummes Missgeschick bei der Gartenarbeit zum Verhängnis werden könnte. Nun würde er in diesem Keller verrotten, ohne auch nur in die Nähe des Gelben Buches gekommen zu sein. Und alles wegen einer verdammten Baumwurzel. Was für ein erbärmliches Ende.
»Liam«, rief Jackon. »Komm mal her.«
Müde stand Liam auf und trat ebenfalls durch den schmalen Durchgang.
Der Rothaarige stand vor einer Wand, vor der sich Gerümpel auftürmte. »Hier muss es irgendwo einen Ausgang geben.«
»Wieso?«
»Spürst du nicht den Luftzug?«
Liam spürte gar nichts, aber er sah, dass seine Fackel aufloderte.
Jackon stemmte sich gegen einen Blechschrank. Liam legte behutsam seine Fackel weg, damit sie nicht ausging, und half ihm, den Spind wegzuschieben.
Dahinter kam eine kreisrunde Öffnung zum Vorschein.
»Siehst du?«, meinte Jackon grinsend.
Liam leuchtete mit seiner Fackel in das gemauerte Loch. Rostige Stümpfe deuteten darauf hin, dass es einst vergittert gewesen war. Dahinter erstreckte sich ein Gang, der sich nach einigen Schritten in der Dunkelheit verlor. Anders als der Keller bestand er aus Ziegelsteinen.
Wenn ihn sein Orientierungssinn nicht gänzlich verlassen hatte, führte der Tunnel vom Palast weg.
»Wahrscheinlich gehört der Gang zum Abwassersystem«, sagte Jackon. »Hör genau hin. Irgendwo rauscht Wasser.«
Liam wusste, dass viele Häuser in Scotia eine Verbindung zur Unterwelt Bradosts aufwiesen.
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