Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
Amulett aus Versehen zerbreche.«
Mit einem zornigen Schnauben wirbelte der Alchymist herum und griff nach einem Glasfläschchen auf dem Schreibtisch.
»Was ist das?«, fragte Lucien.
»Ein Bannpulver«, knurrte Torne.
»Herzeigen.«
Torne hielt ihm das Fläschchen vors Gesicht. Lucien verstand ein wenig von Alchymie. Das Pulver schien kein Gift oder dergleichen zu sein, aber ganz sicher sein konnte er nicht.
»Tu ein wenig davon auf deine Hand«, forderte er den Alchymisten auf.
»Das ist lächerlich.«
»Wie lange war der Blutgeist in dem Amulett? Ein paar hundert Jahre, oder? Ich schätze, er wird hungrig sein.«
In Tornes Augen glühte der Zorn. Dann öffnete er das Fläschchen und streute eine Prise des Pulvers auf seine Hand. Nichts geschah.
»Gut«, sagte Lucien. »Jetzt die Fesseln.«
Torne verstreute das Pulver über ihm. Augenblicklich verflüchtigte sich der Rauch. Mit schmerzenden Gliedern stand Lucien auf. Es gab kaum eine Stelle seines Körpers, die nicht brannte. Aber bleibende Schäden schien er keine erlitten zu haben. Die roten Striemen, die der Rauch verursachte hatte, verschwanden bereits.
»Her mit dem Amulett«, sagte der Alchymist.
»Meine Bedingungen haben sich soeben geändert. Zuerst beantwortest du meine Fragen.«
Tornes Kiefer mahlten. Dann war sein Zorn plötzlich wie weggeblasen, und ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, wobei er verfaulte Zähne entblößte. »Wieso reden wir nicht wie vernünftige Männer miteinander? Hören wir auf, einander zu bedrohen und zu betrügen. Schließlich sind wir beide Geschäftsleute, nicht wahr? Ich bin sicher, dass wir uns einig werden können.«
Lucien musterte Torne misstrauisch. Dieser Sinneswandel ging ihm eindeutig zu schnell. Ohne den Alchymisten aus den Augen zu lassen, legte er die Bruchstücke von Jernigans Lampe auf den Tisch. »Ich nehme an, du weißt, was das ist.«
Torne setzte sich, griff nach einer Juwelierlupe und begutachtete die Einzelteile fachmännisch. »Jernigans größte Schöpfung«, sagte er, und seine Ehrfurcht war nicht gespielt. »Obwohl der Wahnsinn bereits nach ihm gegriffen hat, als er
die Lampe konstruierte. Er fürchtete sich vor den Träumen, die die Alben ihm sandten - so sehr, dass er sich Tag und Nacht mit einem Licht umgeben wollte, das kein Alb ertragen kann.«
»Ich kenne die Geschichte«, sagte Lucien ungeduldig. »Der Harlekin hat die Lampe benutzt, um Aziel im Zweikampf zu besiegen. Obwohl sie als verschollen galt. Ich will wissen, woher er sie hatte.«
»Sie war nicht verschollen. Sie befand sich im Besitz eines Sammlers. Ein reicher Patrizier aus Scotia, Duncan Banister.«
»Hat man sie ihm gestohlen?«
»Keineswegs. Ich hörte, Corvas hat nach der Lampe gesucht. Er soll Banister viel Geld dafür bezahlt haben.«
» Der Corvas?«, fragte Lucien alarmiert. »Die alte Krähe?«
»Kein Geringerer.«
»Wann war das?«
»Vor ein oder zwei Monaten.«
Also vor dem Zweikampf. Das passte zusammen. Nun begriff Lucien, warum Aziel so versessen darauf war, die Wahrheit über die Lampe herauszufinden.
Plötzlich fiel ihm auf, dass der weißhäutige Jüngling, der die ganze Zeit reglos neben dem Tisch gestanden hatte, verschwunden war.
Torne lächelte … und blickte für einen Wimpernschlag an ihm vorbei.
Instinktiv wirbelte Lucien herum. Ein weißer Schemen sprang aus dem Halbdunkel, eine Klinge verfehlte ihn und schrammte über die Tischplatte. Der Jüngling schrie vor Zorn.
Lucien versetzte ihm einen Tritt, der den Doppelgänger gegen den Schrank schleuderte. Dabei verlor er jedoch das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.
Das Amulett entglitt seinen Fingern, schlitterte über die Steinplatten und blieb genau vor Torne liegen.
Der Alchymist stellte den Fuß darauf und rief: »Hast du wirklich gedacht, ich lasse mir einen frischen, kraftstrotzenden Alben entgehen?«
Lucien spürte, dass seine Kräfte zurückgekehrt waren. »Schlaf«, befahl er.
Torne lachte ihn aus. »Vergiss es. Deine billigen Tricks helfen dir hier nicht.«
Der Alb riss ein Messer aus seinem Gürtel und warf es. Torne ächzte vor Schmerz, als ihn die Klinge am Arm verletzte. Blut tränkte seine Robe. Mit wutverzerrtem Gesicht zertrat er das Amulett.
Entsetzen wallte in Lucien auf. Bevor er sich herumwarf und losrannte, sah er noch, wie Torne gegen den Tisch taumelte, während vor ihm blutrote Schleier emporwirbelten, begleitet von unmenschlichem Heulen.
Der Mantikor verfiel in Raserei. Wieder und wieder rannte
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