Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
heimtückisch nach dem Leben
trachteten, um Bradost ins Chaos zu stürzen. Kein Wort von ihrer Absicht, die Stadt zu befreien und eine neue Republik auszurufen. Es war dieselbe Art von Lügen, die seit Jahren sämtliche Zeitungen füllte. Liam zerknüllte das Blatt und warf es in den Rinnstein.
Vor dem Palast wimmelte es von Soldaten. Mehrmals musste er erklären, dass er zur Dienerschaft gehörte, bis man ihm endlich glaubte und ihn einließ. Drinnen bot sich ihm ein Anblick, bei dem ihm der Atem stockte. Nach Quindals Schilderung des Angriffs hatte er sich auf alles Mögliche gefasst gemacht, auf Kampfspuren, Leichen - aber nicht auf ein zerstörtes Luftschiff, das im Garten lag. Dutzende von Arbeitern, offenbar von den Werften, kletterten auf dem Rumpf herum, entfernten die zerfetzte Hülle und begannen, das Stahlgerippe darunter zu zerlegen.
Auf dem Weg zum Anwesen traf er Jackon, der mit einer Axt einen entwurzelten Baum bearbeitete. Zu seiner Erleichterung war der Rothaarige wohlauf.
»Liam! Du glaubst nicht, was hier passiert ist! Wo warst du überhaupt?«
»Ich habe bei meinem Großonkel übernachtet. Wo kommt das Luftschiff her?«
Im gleichen Moment tauchte Hume auf. Der Gärtner machte einen verkaterten Eindruck. »Da bist du ja endlich, Liam«, tadelte er ihn halbherzig. »Geh und zieh dich um. Es gibt viel zu tun.«
Hume wies sie an, die Bäume zu beseitigen, die das Luftschiff umgeknickt hatte, sodass sie die nächsten Stunden nur damit beschäftigt waren. Jackon erzählte ihm währenddessen in allen Einzelheiten von dem Anschlag und dem Absturz des Luftschiffs, doch Liam hörte nur mit einem Ohr zu. Besorgt beobachtete er die Spiegelmänner, die im Anwesen ein- und ausgingen. Ihre Anzahl musste sich verdoppelt haben. Jeder
Zugang wurde jetzt bewacht, sogar der Eingang des Gesindeflügels. Wenn es dabei blieb, würde das seine Pläne nicht gerade vereinfachen.
Gegen Mittag rief ihn Hume zu sich. Das Gesicht des Gärtners war verschwitzt und gerötet. Die brutale Störung seines gewohnten Tagesablaufs schien den armen Kerl heillos zu überfordern.
»Du musst mir einen Gefallen tun, Liam. Bring diese Nachricht zur Luftschiffreederei von Jasper Brent. Er soll noch mehr Arbeiter schicken. Sonst dauert es Tage, bis dieses Monstrum aus meinem Garten verschwunden ist.«
Liam nahm den verschlossenen Umschlag entgegen. »Wo ist die Reederei?«
»Am Wollmarkt. Die Altstadt ist immer noch abgeriegelt, deswegen gehst du am besten zu Fuß. Und lass dich nicht von Brent abwimmeln. Umbra macht mir andernfalls die Hölle heiß.«
Liam machte sich gleich auf den Weg. Die Sonne hatte den Nebel längst vertrieben, und eine drückende Hitze lastete auf der Stadt. Menschenmassen strömten zum Magistratsgebäude am Flussufer, denn überall verkündeten Ausrufer, Lady Sarka wolle zu den Stadtbewohnern sprechen, um die Gerüchte über ihren Tod zu zerstreuen. Liam ging in die entgegengesetzte Richtung, denn der Wollmarkt lag am nördlichen Rand der Altstadt, an einem Wasserkanal, der das alte Stadtzentrum vom Labyrinth, dem Vergnügungsviertel Bradosts, trennte. In der Markthalle aus verwitterten Ziegelsteinen, wo an sieben Tagen die Woche von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang Handel getrieben wurde, herrschte kaum Betrieb. Wegen der angespannten Lage in der Stadt waren die meisten Wollhändler offenbar zu Hause geblieben.
Die Luftschiffreederei befand sich in einem mehrstöckigen Eckhaus, dessen Fassade der Rauch der Kamine im Lauf der
Jahrzehnte fast schwarz gefärbt hatte. Hinter den Fenstern im Erdgeschoss saßen Schreiber und gingen ihrer Arbeit nach. Das Blechschild über dem Eingang zeigte ein kühn aufsteigendes Luftschiff.
Mit der Nachricht in der Hand trat Liam ein.
Vivana wartete, bis ihr Vater zur Arbeit gegangen war, bevor sie ihr Zimmer verließ, Ruac fütterte und sich auf den Weg machte, sodass sie erst am späten Vormittag beim Wanderzirkus eintraf. Die Kinder tollten zwischen den bunten Reisewagen herum und schrien freudig, als sie Vivana entdeckten. Sie gab ihnen die Bonbons, die sie unterwegs gekauft hatte, und ging zu ihrem Onkel und dessen Brüdern. Die vier Männer arbeiteten an einem Wagen, der dringend zwei neue Achsen und einen frischen Anstrich benötigte.
»Vivana«, begrüßte Madalin sie lächelnd. Der hochgewachsene Manusch trug sein rotes Kopftuch, was ihn verwegen erscheinen ließ, obwohl er einer der gelassensten und sanftesten Menschen war, die sie kannte. »Wir haben uns schon
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