Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
eine Sternwarte?
Er trat zu einem der Fenster.
Liam träumte. Er streifte durch staubige Korridore und Zimmer, rief einen Namen und wirkte dabei so verzweifelt, dass Jackon Mitleid überkam. Offenbar suchte er seine Eltern und konnte sie nirgendwo finden.
Jackon griff nach dem Türknauf. Sollte er hineingehen und seinem Freund Trost spenden? Nein, besser nicht. Schließlich hatte Lady Sarka ihm befohlen, sich von den Träumen ihrer Bediensteten fernzuhalten.
Er nahm die Hand vom Türknauf und überlegte, wessen Seelenhaus er stattdessen besuchen könnte.
Ihm kam eine Idee.
Auch der nächste Sprung war sehr anstrengend, doch diesmal traf ihn der Schock der Landung wenigstens nicht unvorbereitet. Als er in der Gasse erschien, fokussierte er augenblicklich seine Gedanken, womit er verhinderte, dass ihn die Verwirrung überwältigte. Er schüttelte die Benommenheit ab und blickte sich um.
Darrens Seelenhaus glich einer schäbigen Baracke aus Holz, Wellblech und löchrigem Segeltuch. Durch die Ritzen in den Wänden sah Jackon das Flimmern von Darrens Träumen.
Er öffnete die Tür und trat ein.
Anders als in seinem eigenen Seelenhaus konnte er Wände, Boden und Decke des Verschlags auch dann noch erkennen, als er drinnen war. Halbdurchsichtige Traumbilder füllten das Innere aus, schemenhaft wie die Phantasmagorien einer Laterna magica.
Für Darren jedoch war der Traum überaus real. Der missgestaltete Hüne hetzte durch Abwasserkanäle und Katakomben, auf der Flucht vor einer Horde geifernder Ratten.
Wut stieg in Jackon auf, als er sich daran erinnerte, wie Darren ihm jahrelang das Leben schwer gemacht, ihn bedroht und gedemütigt hatte. Höchste Zeit, es ihm heimzuzahlen.
Er stellte sich dem Missgestalteten in den Weg. »Hallo, Darren.«
Der Hüne blieb ruckartig stehen. Seine blutunterlaufenen Augen weiteten sich. »Du!«
»Ziemlich viele Ratten«, bemerkte Jackon. »Und sie scheinen nicht gut auf dich zu sprechen zu sein. Was ist passiert? Hast du ihr Futter gestohlen?«
Darren warf einen panischen Blick über seine Schulter. »Lass mich vorbei! Sie haben mich gleich eingeholt!«
»Warum läufst du dann in eine Sackgasse?«
Seine eigenen Träume zu beeinflussen kostete Jackon viel Kraft, doch diese durchsichtigen Bilder zu verändern war nicht sonderlich schwer.
»Das ist keine Sackgasse!«, schrie Darren. »Das ist …« Er verstummte. Wo eben noch ein Tunnel gewesen war, erhob sich plötzlich eine Wand. »Was hast du gemacht?«
Der Hüne wirbelte herum und rannte in eine Abzweigung. Die Rattenhorde flutete über den Boden und folgte ihm.
Jackon musste nur ein paar Schritte zur Seite gehen, um abermals vor Darren zu stehen. Auch diesen Tunnel verschloss er mit einer Wand.
»Geh weg!«, kreischte sein alter Feind. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen!«
»Das habe ich nicht vergessen«, erwiderte Jackon. »Dabei hast du alle meine Sachen in den Kanal geworfen. Du weißt, was das für einen Schlammtaucher bedeutet. Ich hätte sterben können.«
Darren sprang ins Wasser und watete durch die stinkende Schlammbrühe, bis er festen Boden erreichte. Bevor er weiterlaufen konnte, erschien Jackon vor ihm.
»Du kannst nicht vor mir weglaufen. Nicht hier.«
Wimmernd fiel der Hüne auf die Knie. »Bitte«, heulte er. »Ich rühre dich nie wieder an. Ich schwöre es. Nur geh … endlich … weg.«
»Ich fürchte, dafür ist es leider zu spät«, sagte Jackon.
Scharen von Ratten schwammen durch das Kanalwasser. Darren schrie, als sie den Sims hinaufkletterten und sich quiekend auf ihn stürzten. Sie verbissen sich in seinen Armen und Beinen, er wälzte sich auf dem Boden und war im nächsten Moment über und über von Ratten bedeckt.
Er verschwand - und mit ihm die Traumbilder. Eine silbrige Schicht bedeckte den Boden der leeren Baracke. Ein Sammler kam durch die Tür gekrochen und begann, die verbrauchten Träume aufzusaugen.
Jackon lächelte bei der Vorstellung, dass Darren gerade irgendwo in den Kanälen schweißgebadet aufwachte und schreiend gegen Ratten kämpfte, die gar nicht existierten. Zu gerne hätte er den Hünen in seinem Loch besucht und ihm erklärt, dass er ihm noch viel schlimmere Albträume bescheren konnte, wenn ihm der Sinn danach stand.
Als er wenig später auf der Couch im geheimen Zimmer erwachte, lächelte er immer noch.
Allmählich fand er an der Sache Gefallen.
26
Der Drudenfuss
L ucien vermutete, dass er sich inzwischen unter Lady Sarkas Palast
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