Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
keine Orte in der Stadt.«
»Such die Seelenhäuser von Menschen, die du kennst. Denk an ihren Namen, ihr Gesicht, den Klang ihrer Stimme. Je besser du sie kennst, desto leichter wird es dir fallen, ihr Seelenhaus zu erreichen.«
»Habt Ihr auch ein Seelenhaus?«
»Natürlich.« Der Glanz in ihren Augen wurde kalt. »Aber du wirst dich davon fernhalten, verstanden?«
Er nickte eingeschüchtert.
»Ebenso von den Seelenhäusern von Umbra, Corvas und all meinen übrigen Bediensteten. Ich will nicht, dass du ihre Träume störst. Du kennst genügend andere Leute. Spring zu den Seelenhäusern von Schlammtauchern.«
»Was soll ich tun, wenn ich dort bin?«
»Geh hinein. Schau dir ihre Träume an. Lerne, sie zu verändern. Aber pass auf, dass du dich nicht darin verirrst.«
Jackon hatte die Tasse ausgetrunken und stellte sie auf das Tischchen. Der Tee begann bereits zu wirken. Er fühlte sich zunehmend schläfrig und legte sich hin.
»Noch etwas musst du wissen«, sagte die Lady. »Im Herzen der Stadt steht ein gewaltiger Palast. Möglicherweise siehst du ihn bei deinen Streifzügen. Du darfst ihm unter keinen Umständen zu nahe kommen.«
»Warum nicht?«
»Aziel, der Herrscher der Träume, lebt dort. Er duldet keine Menschen in seiner Stadt und könnte versuchen, dich anzugreifen, wenn er dich bemerkt. Meide deshalb Aziels Nähe, so gut du kannst.«
Palast meiden. Seelenhäuser suchen , versuchte er sich einzuprägen, bevor ihm die Augen zufielen.
Er träumte, dass er einen schummrigen Abwasserkanal entlangging. Schlammtaucher hausten in den Nischen und Abzweigungen. Einige von ihnen waren keine richtigen Menschen, sondern hatten Krähenköpfe und krächzten mit ihren Schnäbeln. Jackon schenkte ihnen keine Beachtung und machte sich auf die Suche nach der Tür. Es dauerte nicht lange, bis er sie in der Tunnelwand fand. Diesmal musste er sich nicht sonderlich anstrengen, um sie zu öffnen - es schien nur beim ersten Mal schwierig zu sein und danach nicht mehr.
Er trat hindurch.
Draußen bot sich ihm derselbe Anblick wie bei seinem ersten Besuch: Dämmriges Zwielicht herrschte in der Straße, Träume flackerten in den Fenstern der Seelenhäuser. Schwammartige Sammler krochen von Tür zu Tür, während geflügelte Boten um die Dächer schwirrten.
Jackon fokussierte seine Gedanken und erinnerte sich an seine Anweisungen.
Er musste lernen zu springen.
Lady Sarka hatte gesagt, er könne jeden Ort erreichen, zu
dem er wollte. Am besten fing er mit einem Ort ganz in seiner Nähe an.
Einen Steinwurf entfernt stand ein Gebäude, das an die Patrizierhäuser der Altstadt erinnerte. Jackon betrachtete die Spitze des kleinen Eckturms. Dort will ich hin , dachte er und richtete all seine Gedanken auf dieses Ziel.
Im nächsten Moment schlitterte er die Dachschräge hinab. Er bekam die Wetterfahne zu fassen und hielt sich daran fest. Er hatte es geschafft! Er war von seinem Seelenhaus zur Turmspitze gesprungen, und es war ihm nicht einmal besonders schwer gefallen. Er fühlte sich nur ein wenig benommen.
Rittlings setzte er sich auf die Turmspitze, den Mast der Wetterfahne zwischen den Oberschenkeln, und ließ seinen Blick über die Stadt schweifen.
Die Aussicht raubte ihm schier den Atem. Seelenhäuser aller Größen und Bauweisen, so weit das Auge reichte. Und überall fliegende Boten, die silbrige Tropfen in die Kamine fallen ließen.
Er fühlte sich bereit für einen schwierigeren Sprung.
Er dachte an Liam, so wie die Lady es ihm erklärt hatte: Er stellte sich Liams Gesicht vor, seine blonden Haare, seine Stimme, bis er seinen Freund deutlich vor sich sah. »Bring mich zu seinem Seelenhaus«, sagte er laut.
Dieser Sprung kostete ihn wesentlich mehr Kraft als der erste. Er taumelte, als er in einer anderen Straße landete, und fiel zu Boden. Ein neugieriger Bote wurde auf ihn aufmerksam und schwirrte um ihn herum. »Hau ab!«, schrie Jackon und wedelte mit den Armen, bis das Geschöpf davonflog.
Er spürte, dass er seine Konzentration zu verlieren drohte. Er fing bereits an zu vergessen, was er hier tat. Mit all seiner Willenskraft sammelte er sich.
Ich lerne zu springen , sagte er sich mit geschlossenen Augen. Ich habe Liams Seelenhaus gesucht.
Als seine Gedanken wieder klarer wurden, öffnete er die Augen.
Das Seelenhaus seines Freundes war ungefähr so groß wie seines und besaß schlichte weiße Wände und eine eiserne Kuppel anstelle eines Daches. Eine Sternwarte , dachte Jackon verwundert. Warum
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