Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
befand. Die Tunnel sahen vollkommen anders aus als die Katakomben unter der Altstadt. Die Wände wirkten glasartig und wiesen Wölbungen und seltsame Auswüchse auf, so als wäre das Gestein bei großer Hitze geschmolzen und zu bizarren Formen erstarrt, als es erkaltete. Von irgendwoher kam ein blaues Glühen, das die Höhlen mit fahlem Licht erfüllte.
Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, während er durch die Gänge schlich. In den Palast der Lady einzudringen stellte selbst für einen Dieb seines Ranges eine Herausforderung dar. Er hätte sich gerne sorgfältig darauf vorbereitet, aber Aziel hatte ihn zur Eile gedrängt und ihm so die Möglichkeit genommen, alle Eventualitäten zu durchdenken. Also musste er sich wohl oder übel auf sein Improvisationstalent verlassen und zusehen, dass er irgendwie zurechtkam.
Ich hätte ihm sagen sollen, dass er sich selbst darum kümmern soll, wenn es ihm so wichtig ist , dachte er missmutig. Warum bin ich nur so verdammt gutmütig?
Er bog um eine Ecke und verbarg sich hastig hinter einem Wandvorsprung, als er zwei Spiegelmänner entdeckte. Sogar hier unten hatte Lady Sarka Posten aufgestellt. Ihre Wachsamkeit kannte wahrlich keine Grenzen.
Verstohlen spähte er an dem steinernen Wulst vorbei. Die Spiegelmänner standen vor einer Treppe, die nach oben führte
- vermutlich der Zugang zum Palast, den er suchte. Das Licht ließ ihre Masken blau schimmern. In den Händen hielten sie ihre bevorzugten Waffen, Rabenschnäbel.
Gegen diese Kreaturen war seine magische Unauffälligkeit nutzlos; dank ihrer Spiegelmasken konnten sie ihn sehen. Glücklicherweise kannte er noch andere Methoden, um sich vor unwillkommenen Blicken zu verbergen.
Er zog eine Rauchglasphiole aus einer Schlaufe seines Gürtels, entkorkte sie und trank die winzige Menge Flüssigkeit, die sie enthielt. Schwindel überkam ihn, und er schloss die Augen, bis es vorüber war. Die Substanz hieß javva . Sie verfügte über einige erstaunliche Eigenschaften - unter anderem bewirkte sie, dass einen die Spiegelmänner der Lady nicht sehen konnten. Es war nicht leicht gewesen, an das Elixier heranzukommen. Außer den Manusch kannten nur zwei oder drei Alchymisten das Geheimnis seiner Herstellung, und sie hüteten es wie einen Schatz.
Nachdem Lucien die Phiole wieder in seinen Gürtel geschoben hatte, huschte er lautlos den Gang entlang. Unbemerkt schlüpfte er zwischen den Spiegelmännern hindurch und eilte die Treppe hinauf.
Er kam zu einer Tür, die er vorsichtig öffnete. Dahinter verlief ein Gang mit mehreren Fenstern. Es war eine Stunde vor Sonnenaufgang, und trübes Dämmerlicht fiel durch das Bleiglas.
Die Hinweise, die er suchte, befanden sich vermutlich in den Gemächern der Lady. Wie er dorthin gelangte, wusste er nicht; Aziel hatte ihm keine Zeit gelassen, Baupläne von dem Anwesen aufzutreiben. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich von seinem Instinkt leiten zu lassen.
Er schlich durch menschenleere Flure und Zimmer und erreichte schließlich die Eingangshalle. Gaslampen an den geschnitzten Pfeilern verströmten grünliches Licht. Überall standen Spiegelmänner herum, mindestens ein halbes Dutzend.
Lucien machte einen Durchgang aus, der, so nahm er an, zum Kuppelsaal führte. Da er sich nicht zu sehr auf das javva verlassen wollte, hielt er sich im Schatten der Galerien, während er die Halle durchquerte. Unbemerkt betrat er den Durchgang, hastete einen Korridor entlang und stahl sich an den Spiegelmännern vorbei, die ihm unterwegs begegneten.
Wenig später tat sich ein gewaltiger Saal vor ihm auf. Ehrfürchtig betrachtete er die gläserne Kuppel hoch über seinem Kopf. Dies war das Herzstück des Palastes. Niemand kam hier hinein, es sei denn, er wurde von Lady Sarka eingeladen.
Jetzt musste er nur noch ihre Gemächer finden.
Stimmen erklangen. Lucien versteckte sich hinter einem Wandschirm und beobachtete zwei Gestalten, die den Saal durchquerten.
Corvas und Umbra.
Es gab nur wenige Menschen, die ihm ebenbürtig waren - diese beiden gehörten dazu. Als er vor zwei Jahren in das Anwesen der Familie Damon eingebrochen war, um den Medusenring zu stehlen, hatte Lady Sarka Corvas und Umbra auf ihn angesetzt, denn Lord Damon war ein enger Freund von ihr. Ihre beiden Leibwächter hatten ihn tagelang durch die Stadt gejagt und sogar einen seiner Schlupfwinkel gefunden. Zwar war er mit knapper Not entkommen, aber den Medusenring hatte er zurücklassen müssen - eine Schlappe, die ihm heute
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