Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
der Phönix auf die Bedrohung aufmerksam. Zornig stürzte er von seiner Felsnadel hinab und versuchte, den Alchymisten zu vernichten. Shembar wehrte ihn mit mächtiger Magie ab und verwundete ihn. Der Phönix floh und wurde nie wieder in Ilnuur gesehen.
Was daraufhin aus Shembar wurde, ging aus seinen Aufzeichnungen nicht klar hervor. Möglicherweise musste er Ilnuur verlassen, verjagt von rachsüchtigen Bürgern, die ihn für das Verschwinden des Phönix verantwortlich machten. Das Buch schloss mit der Bemerkung, dass er plane, sein Wissen um das Ritual zu verkaufen, um seinen verlorenen Reichtum zurückzugewinnen. Damit endete Shembars Geschichte.
War der Phönix von Ilnuur derselbe, der später über Bradost wachte? War er nach seinem Kampf mit dem bösartigen Nigromanten nach Norden geflohen, über das Meer, um sich an der Mündung des Rodis niederzulassen, wo ihm keine Gefahr drohte? Liam und seine Gefährten konnten darüber nur Vermutungen anstellen, denn natürlich enthielt das Buch keine
entsprechenden Hinweise. Ein Verdacht jedoch wurde immer dringlicher, je mehr sie über Shembar und seine Pläne erfuhren, wenngleich er sich nicht beweisen ließ. Es war Quindal, der ihn als Erster aussprach: Der Phönix von Bradost hatte sich nicht in die Anderwelt zurückgezogen, wie jeder glaubte. Jemand hatte das Ritual benutzt, um ihn einzufangen, ihn zu versklaven: Lady Sarka.
Anfangs hatte Liam sich geweigert, dergleichen auch nur in Betracht zu ziehen; zu absurd, zu schrecklich war die Vorstellung, Lady Sarka könnte für das Verschwinden des Phönix verantwortlich sein. Doch je länger er darüber nachdachte, desto plausibler erschien es ihm. Warum sonst hätte sich das Buch in ihrem Besitz befinden sollen? Abgesehen von Shembars Ritual besaß es keinerlei praktischen Wert. Und warum sollte sie alles daransetzen, die Existenz des Folianten zu verheimlichen, wenn sie nicht befürchten musste, dass man mit seiner Hilfe ein unfassbares Geheimnis enthüllen konnte? Ein Geheimnis, das das Potenzial besaß, ganz Bradost in einen rasenden Mob zu verwandeln.
Nein, alles deutete darauf hin, dass Quindal Recht hatte – dass Lady Sarka mit dem Phönix verschmolzen war, um sich übermenschliche Kräfte zu verschaffen und Bradost seines Wächters zu berauben.
Sein Vater hatte das geahnt, hatte nach einem Weg gesucht, es zu beweisen – und dafür mit dem Leben bezahlt.
Liams Hände zitterten, als er die Notizen zurücklegte. Vivana musterte ihn besorgt.
»Er hätte mich einweihen müssen«, sagte er leise. »Ich hätte ihm helfen können. Er könnte jetzt hier bei uns sein.«
Sie musste nicht fragen, von wem er sprach. »Er wollte dich eben beschützen.«
»Mich beschützen? Nein. Er hat mir nicht vertraut.« Es gelang Liam nicht, seine Bitterkeit zu verbergen.
Die anderen kamen zurück. Khoroj goss ihnen frischen Tee ein, als sie sich setzten.
»Noch mal von vorne«, sagte Quindal mit gerunzelter Stirn. »Lady Sarka ist für das Verschwinden des Phönix verantwortlich. Sie hat ihn eingefangen und mit magischer Kraft an sich gebunden. Könnte das eine Erklärung für die Gerüchte sein?«
»Welche Gerüchte?«, fragte Liam.
»Dass man Lady Sarka mit Waffengewalt nichts anhaben kann. Dass sie unverwundbar ist.«
»Könnte es«, sagte Livia. »Ein Phönix hat die Macht, sich selbst zu verbrennen und neu zu erschaffen und so den Tod zu überlisten. Wenn es Lady Sarka gelungen ist, mit ihm zu verschmelzen, sind diese Kräfte auf sie übergegangen, zumindest teilweise.«
Liam stellte sich vor, wie Lady Sarka verbrannte und aus ihrer eigenen Asche auferstand. Ein Schauder lief ihm über den Rücken. Wenn das wirklich stimmte, war ihre Macht noch viel größer, als er je für möglich gehalten hatte.
»Wie ist so etwas heute überhaupt noch möglich?«, fragte Vivana. »Die Magie ist doch viel schwächer als zu Mahoor Shembars Lebzeiten. So ein Ritual dürfte doch gar nicht mehr funktionieren.«
»Im Prinzip hast du Recht«, erwiderte ihre Tante. »Aber es gibt auch heute noch Wege, starke magische Energien zu gewinnen. Etwa indem man Schattenwesen tötet und sich ihre Essenz einverleibt. Ich vermute, dass Lady Sarka so etwas getan hat. Skrupellos genug ist sie. Ich frage mich nur, wer ihr geholfen hat. Sie kann das Ritual unmöglich allein durchgeführt haben. Shembar hat dafür drei Dutzend Sklaven eingeplant. Leute, die ihm halfen, tausende Kraftsymbole aufzuzeichnen. Die die Kräuter verbrannten. Die den Phönix
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