Pandaemonia 03 - Phoenixfeuer
Schließlich kamen sie zu einer Stelle, die einem Anlegesteg ähnelte. Von dort aus gelangten sie in einen kleinen Komplex aus Kammern und Gewölberäumen.
»Wir sind da«, sagte Jackon.
Erschöpft legten sie ihr weniges Gepäck ab und richteten sich in den Kammern häuslich ein, so gut das unter den gegebenen Umständen eben möglich war. Lucien verteilte die Decken und den kümmerlichen Rest ihrer Vorräte.
Ruac machte es sich unterdessen vor dem Eingang bequem. Vivana entging nicht, dass die anderen hin und wieder verstohlen in seine Richtung spähten. Sie konnte ihnen ihr Unbehagen nicht verdenken. Für ihre Freunde war er kein putziges Haustier mehr, sondern ein Ehrfurcht gebietendes Schattenwesen mit tödlichen Klauen und Zähnen. Sie versprach ihnen, dass sie nichts von ihm zu befürchten hatten, aber sie war nicht sicher, ob man ihr glaubte.
Es stellte sich heraus, dass es sich bei den Räumen um den Keller eines alten Wasserturms handelte, der schon lange nicht mehr genutzt wurde. Als Vivana sich ein wenig umschaute, entdeckte sie eine Treppe, die nach oben führte und an einer vernagelten Tür endete — offenbar der Zugang zum Turm. Sie rüttelte daran. Wenn man sich ein bisschen anstrengte, konnte man sie aufbrechen. Flucht war also möglich, sollte ihnen aus den Kanälen Gefahr drohen.
Vielleicht kein ideales, aber doch ein passables Versteck. Zufrieden kehrte Vivana zu den anderen zurück.
Kaum einer ihrer Freunde hatte die Kämpfe im Ministerium der Wahrheit unbeschadet überstanden. Zwar war nur Jovan ernstlich verletzt, aber auch die anderen hatten zahlreiche Prellungen, Schnitte und Kratzer erlitten. Vivana holte die Salben, Phiolen und Heilkräuter aus Livias Tasche und kümmerte sich der Reihe nach um ihre Gefährten, angefangen mit Jovan, dessen Beinwunde sie säuberte und sorgfältig verband.
»Du machst das gut«, sagte der Manusch und lächelte matt. »Livia wäre stolz auf dich.«
Vivana schwieg. Genau genommen war nicht sie es, die ihn verarztete, sondern jener Teil von Livia, der nun in ihr steckte. Er lenkte jeden ihrer Handgriffe und ließ sie stets nach dem richtigen Fläschchen greifen, obwohl sie noch gestern nicht einmal die Namen all dieser Mittel und Tinkturen gekannt hatte.
Das alles war sehr verwirrend.
»Ich wusste gar nicht, dass du das kannst«, sagte ihr Vater später, während sie einen Schnitt an seinem Arm versorgte.
»Tja. Ich auch nicht.«
Er schwieg einen Moment. »Nedjo hat gesagt, Livia hätte dir ihre Kräfte übertragen.«
»Ja, das stimmt.«
»Wie hat sie das gemacht?«
»Schwer zu erklären ... Könntest du bitte aufhören, so zu zappeln?«
Er hielt seinen Arm still und verzog das Gesicht, als sie den Verband verknotete. »Was ist mit ihren ganzen Tricks und Zaubersprüchen? Kannst du die jetzt auch?«
»Ich schätze schon.« Vivana bemerkte den seltsamen Ausdruck in seinem Gesicht. »Was ist?«
»Diese Dinge sind gefährlich.«
»Auch nicht gefährlicher als deine Maschinen.«
»Das sehe ich anders.«
Sie seufzte. »Es geht doch gar nicht um Livia und meine neuen Kräfte. Du hast Angst, dass ich nicht mehr die bin, die du kennst, stimmt's?«
Er stritt es nicht ab. »Ist meine Angst berechtigt?«
»Nein, Paps. Ich bin immer noch dieselbe. Wirklich.«
»Wenn du es sagst«, erwiderte er zögernd.
Vivana tat gedankenverloren die Arzneien in die Tasche zurück. Hatte sie ihrem Vater die Wahrheit gesagt?
War
sie noch dieselbe? Oder waren die fremden Erinnerungen so mächtig, dass sie nach und nach alles verdrängten, was ihre Persönlichkeit ausmachte? Sie fand keine Antwort darauf. Außerdem war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen, entschied sie. Sie hatten genug andere Probleme.
Jackon beispielsweise.
Der Rothaarige hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und versuchte offenbar, nicht aufzufallen. Es gelang ihm nicht. Kaum waren die Gefährten etwas zur Ruhe gekommen, kehrte ihre Wut auf ihn zurück. Man sah es deutlich in den Blicken, die sie ihm zuwarfen. Irgendwann setzte Lucien sich zu ihm, offenbar um zu signalisieren, dass er auf Jackons Seite stand. Als Sandor, Jovan und Nedjo zu tuscheln begannen, sagte der Alb: »Warum so leise? Ihr redet doch über etwas, das uns alle angeht, oder?«
»Wir reden über Jackon«, entgegnete Sandor herausfordernd. »Wir beraten, was wir jetzt mit ihm machen.«
Augenblicklich gehörte ihm die Aufmerksamkeit der ganzen Gruppe. Madalin, Liam und Godfrey
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