Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
sie so ungläubig an, als hätte sie gerade behauptet, dass die Erde eine Scheibe sei. Er nahm ihr das Smartphone aus der Hand und blickte auf das Display. Er war völlig verblüfft über die E-Mail auf dem kleinen Bildschirm. Es war offensichtlich, dass irgendetwas an dieser Netzwerkgeschichte dran sein musste. Nur was? Was war das für ein seltsamer Zufall, dass sich gerade jetzt dieses mysteriöse Netzwerk bei Naomi gemeldet hatte? Konnte er Naomis Vermutungen Glauben schenken? Nach wie vor fiel es ihm schwer, eine Verbindung zwischen dem Krankheitsausbruch in Berlin und dem Netzwerk zu erkennen. Aber was, wenn dieses I Share Evil tatsächlich von Terroristen betrieben wurde, die das Virus auf irgendeine Weise nach Berlin eingeschleppt hatten?
Naomi, der nicht entging, dass der Kommissar nun endlich anfing, über die Bedrohung aus dem Netz nachzudenken, erklärte: »Wir können über dieses Netzwerk nur dann etwas herausfinden, wenn ich mich dort anmelde.«
»Wenn es sich um ein Terrornetzwerk handelt, ist das zu gefährlich.« Ein Anflug von Besorgnis zeigte sich auf seinem Gesicht. »Es gibt Experten beim BKA, die sich mit terroristischen Aktivitäten im Internet beschäftigen.«
»So lange können wir aber nicht warten.«
König erwiderte darauf nichts. Was auch? Sie hatte ja recht.
Naomi zögerte einen Moment. König merkte ihr die innere Anspannung an, und doch drückte sie nach ein paar Sekunden entschlossen auf den Button »Accept Invitation« .
61
Witter rannte um sein Leben. Aber warum war da in ihm überhaupt noch dieser Überlebensinstinkt? In ihm, dem Todkranken? Ob er jetzt oder später sterben würde, war eigentlich egal. Er blieb stehen und schloss die Augen. Der alte Mann hörte seinen Atem und spürte den Puls in seinen Schläfen pochen.
»Kommen Sie, Witter, nicht stehen bleiben!«, schrie Paul ihm zu, der ein ganzes Stück weit vor ihm neben Gabriela herlief und sich zu ihm umblickte.
Hinter Witter strömte ein Haufen Infizierter aus der Zeltstadt auf den freien Platz vor dem Olympiastadion, wo Soldaten und Einheiten der Bundespolizei sie von Fahrzeugen und Panzern aus unter Beschuss nahmen. Wie die Figuren in einer Schießbude fiel einer nach dem anderen um. Gabriela eilte zu Witter zurück, packte ihn am Arm und zog ihn weiter. Sie duckten sich, als mehrere Geschosse über ihre Köpfe hinwegzischten. Sie mussten höllisch aufpassen, dass sie nicht in einen Kugelhagel gerieten. Menschen liefen schreiend in alle Richtungen davon. Wohin, egal. Hauptsache, fort aus der Gefahrenzone.
Witter, Paul und Gabriela eilten mit anderen Flüchtenden durch das Südtor des Geländes hinaus und weiter über einen größeren Platz in Richtung einer breiten Allee. An einer Kreuzung rauschten Fahrzeuge der Polizei, des Militärs und anderer Hilfskräfte an ihnen vorbei. Dahinter tauchten mehrere große Lkws auf, auf deren Ladeflächen dicht gedrängt ängstlich dreinblickende Männer, Frauen und Kinder kauerten.
Die Allee war vollgestopft mit Menschen, die zu Fuß in Richtung Bundesstraße unterwegs waren. Pkws hupten, kamen aber, wenn überhaupt, nur stockend voran. Die drei reihten sich in den Flüchtlingsstrom ein, der sich im Schneckentempo weiter vorwärtsbewegte. Auf einmal entstand ein Tumult in der Menschenmenge, als eine Frau zu schreien anfing und zu einem Garten vor einer Villa in der Nähe der Straße deutete: Dort stand eine Gruppe Infizierter, die zu ihnen herüberstierte. Als die Kranken sich in Bewegung setzten und auf sie zumarschierten, rannte die Menge in Panik auseinander. Dabei wurden einige brutal zur Seite gestoßen und fielen zu Boden. Manche wurden sogar von der flüchtenden Masse zu Tode getrampelt.
Paul zog Gabriela ganz eng an sich heran, damit sie nicht von dem Menschenstrom mit fortgerissen wurde. In der Nähe von Witter stand ein Junge, der nach seiner Mutter schrie, die er in dem Getümmel verloren hatte. Witter ging zu dem Kind, packte es und hob es auf den Arm. Das Kind schaute sich um, ob es zwischen den Flüchtenden irgendwo seine Mutter entdeckte.
»Edgar!«, rief plötzlich eine Stimme, die in dem lauten Getöse beinahe unterging.
Der Junge riss den Kopf herum und sah seine Mutter einige Meter entfernt, die sich gegen die flutende Menge bis zu ihnen durchkämpfte. Der Junge sprang an den Hals seiner Mutter und umklammerte sie ganz fest.
»Danke, danke, Sie haben das Leben meines Jungen gerettet«, sagte die Frau mit vor Tränen erstickter Stimme zu Witter, der
Weitere Kostenlose Bücher