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Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Titel: Pandaemonium - Die Letzte Gefahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Odin
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Meter hinter ihr in der Schlange stand, bekam mit, dass sie auf die Aufforderung der Kassiererin, ihr für den ermäßigten Eintrittspreis doch den Berlinpass vorzulegen, nicht reagierte. Die Frau am Schalter versuchte es ein weiteres Mal ohne Erfolg, dann blickte sie kurz genervt und händigte dennoch das verbilligte Ticket aus.
    Johanna Wedkind betrat den Zoo durch das Elefantentor, ein im letzten Krieg völlig zerstörtes und in den Achtzigerjahren wiedererrichtetes, beeindruckendes Portal. Es besteht aus zwei großen, liegenden Elefanten aus Sandstein, die ein Pagodendach aus rotem Holz, grünen Ziegeln und goldenen Ornamenten tragen.
    Naomi bewegte sich mitten in einem Strom Besucher – Familien mit Kindern, Touristen, junge und alte Paare – durch die gepflegte Anlage. Während sie an romantischen Teichen und Tierhäusern vorbeiwanderte, verlor sie die Wedkind ab und an aus den Augen; denn die alte Frau blieb keine Sekunde stehen, um die Elefanten, Giraffen und Lamas in den Tiergehegen zu betrachten, sondern marschierte einfach schnurstracks daran vorbei. Doch gelegentlich taumelte die Wedkind ein wenig und wackelte dann in einer Art Zickzackkurs weiter, sodass Naomi sie wieder einholen konnte. Diese merkwürdige Unsicherheit beim Gehen fiel dem Mädchen auf, den anderen Besuchern aber anscheinend nicht, da sie zu sehr mit den Attraktionen des Parks beschäftigt waren.
    Naomi überlegte, ob sie ihre Observation abbrechen, die alte Frau ansprechen und vielleicht sogar einen Notarzt verständigen sollte. War ihr nicht schon zu Hause der Gedanke gekommen, dass die Wedkind einen kleinen Schlaganfall erlitten hatte? Und oft kam nach einem leichten ein schwerer Schlag, der fatale Folgen haben und irreparable Schädigungen des Hirns nach sich ziehen konnte. Naomi wusste das, weil ihrer Großmutter genau das widerfahren war: Danach war sie etliche Jahre als Schwerstpflegefall ans Bett gefesselt gewesen, bevor das Immunsystem vollends versagt hatte und sie an einer Lungenentzündung gestorben war. Naomi erinnerte sich an den TV-Spot der Schlaganfall-Stiftung: Achten Sie auf die Symptome des Schlaganfalls – jeder Schlaganfall ist ein Notfall. Irgendeine Stimme in ihr warnte sie jedoch, jetzt sofort etwas zu unternehmen; und so entschied sie, noch kurz abzuwarten, bevor sie die Wedkind ansprechen würde.
    Hinter den Greifvogelvolieren verlor sie die alte Frau zwischen einer Gruppe fotografierender Japaner wieder einmal aus dem Blick. Hektisch schaute sie sich um, konnte die Wedkind aber nirgendwo ausmachen. Sie wollte schon die Suche aufgeben, aber dann meldete sich ihr ausgeprägtes Pflichtgefühl: Allzu weit kann die Alte nicht gekommen sein , dachte sie, und im Notfall werde ich eben das ganze Zoo-Gelände nach ihr absuchen – es sind ja nur fünfunddreißig Hektar.
    Sie passierte die Flusspferdeanlage, den Braunbärfelsen und hielt auch bei den Wölfen Ausschau nach der alten Frau – vergebens. Als sie in Richtung des Zoorestaurants Die Waldschänke schritt, hörte sie plötzlich in größerer Entfernung lautes Geschrei. Es hörte sich an, als würde es von einer panischen Menschenmenge herrühren. Naomi drehte sich unverzüglich um und marschierte auf das Stimmengewirr zu. Besucher, die es ebenfalls vernommen hatten, hasteten wie eine aufgescheuchte Herde Antilopen los: Die einen eilten auf den Lärm zu, die anderen in die entgegengesetzte Richtung, um davor zu flüchten.
    Schreiende Eltern, die ihre heulenden Kinder mit sich rissen, kamen Naomi auf dem Weg dorthin entgegengerannt und liefen sie fast über den Haufen. Als sie schließlich den Ort des Geschehens erreichte – es war der Streichelzoo hinter der Eisbären-Freianlage –, zeigte sich ihr ein Bild des Grauens, das ihr den Atem raubte: Eltern versuchten verzweifelt, ihre Kinder aus dem Streichelzoo hinaus in Sicherheit zu bringen, was jedoch durch die riesengroße Ansammlung an Schaulustigen verhindert wurde, die sich am Gatter drängten und den Ausgang blockierten. Es kam zu tumultartigen Szenen, bei denen Väter sich gewaltsam gegen die Menge stemmten, um den Weg für sich und ihre Familien nach draußen zu bahnen. Über ein Kind, das in dem panischen Haufen von der Hand seiner Mutter weggerissen wurde und zu Boden fiel, trampelten einige sogar einfach hinweg. Mehrere Mitarbeiter des Zoos versuchten, in den Streichelzoo hineinzugelangen, was wegen der in Aufruhr versetzten Menschenmenge zunächst ein Ding der Unmöglichkeit war; doch schließlich

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