Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
gelang es ihnen, über den Zaun zu klettern.
Das Geschehen, das dieses Chaos auslöste, fand mitten auf dem Platz des Streichelzoos statt: In einer Herde panisch umherrennender Ziegen stand die alte Wedkind, und neben ihr auf der Erde lagen die noch zuckenden Körper und die abgeschnittenen Köpfe zweier Tiere, deren Blut in den sandigen Boden strömte.
Naomi sah, wie die Alte mit dem rechten Arm den Kopf einer noch lebenden Ziege im Zangengriff hielt, die vor Todesangst infernalisch blökte. Mit der linken Hand setzte die Wedkind ein langes Küchenmesser an die Kehle des Tieres und durchtrennte mit einem entschlossenen Schnitt die Kehle. Eine Blutfontäne schoss aus der klaffenden Wunde und spritzte auf den ohnehin schon blutgetränkten Rock und die beigefarbigen Stützstrümpfe der alten Frau. Die Beine des Tieres machten noch einige seltsame Verrenkungen, bevor der Körper in sich zusammensackte und zu Boden rutschte. Johanna Wedkind setzte das Messer erneut an und schnitt mit einer brutalen Kraft, die man ihr nie und nimmer zugetraut hätte, den Kopf vom Hals. Dann riss sie den Schädel in die Höhe, was aussah wie ein Zeichen des Triumphs, und ließ das herausfließende Blut über ihr Gesicht und in den Mund laufen.
In dem Augenblick wurde Naomi schlecht, und sie musste sich übergeben. Als sie wieder aufschaute, sah sie, wie eine junge Mitarbeiterin des Zoos empört auf die Schlächterin zustürmte. Das hätte sie besser nicht getan, denn die Wedkind holte mit ihrem Messer aus und stieß es ihr blitzschnell in den Unterleib. Die Tierpflegerin sackte direkt vor der Alten auf die Knie. Dann packte die Wedkind die junge Frau an den Haaren, riss das Messer aus ihrem Unterleib heraus und schnitt auch ihr die Kehle durch. Wie ein nasser Sack kippte der tote Körper nach vorne in den Staub.
Im nächsten Moment fiel ein Schuss, und eine Kugel durchschlug das linke Bein der Alten. Sie wankte kurz, dann stolperte sie einen Schritt nach vorne. Die nächste Kugel traf ihr rechtes Bein. Doch die Wedkind stand immer noch aufrecht und hielt das Messer in der Hand. Es schien, als verspürte sie keinen Schmerz. Alle Zuschauer warteten gespannt, wann sie endlich umkippen würde.
Doch das Gegenteil geschah. Plötzlich rannte sie los, das Messer hoch erhoben, und hielt auf die Menschenmenge zu. Weitere Schüsse fielen, die ihren Körper durchlöcherten. Schließlich stürzte sie zu Boden und blieb auf dem Bauch liegen. Die Polizisten, die geschossen hatten, kamen mit zwei Sanitätern herbeigerannt. Sie schreckten zurück, als sie das Geräusch hörten, das tief aus dem Leib der Alten drang – jenes Geräusch, das Naomi schon einmal in der Plattenbausiedlung gehört hatte: ein Glucksen, als würde etwas Riesiges verdaut.
Der Körper begann, sich gewaltig aufzublähen, so als würde eine Menge Luft hineingepumpt. Dann kam es überall zu einem Blutdurchtritt, und ihre gesamte Haut verfärbte sich rot. Bevor die Alte starb, gluckste es ein letztes Mal. Dann stank es auf einmal höllisch nach verkochtem Fleisch und anderen ekeligen Körpergasen – und die Leiche schrumpfte zusammen wie ein Soufflé, in das man ein Messer sticht und aus dem die Luft herausweicht.
9
BERLIN, CAMPUS VIRCHOW-KLINIKUM,
24. NOVEMBER
Vor drei Tagen, genau um elf Uhr fünfzehn, hatte ein Rettungswagen den ersten Patienten gebracht, der nur noch ein zuckendes Stück menschliches Fleisch gewesen war. An den zwei darauffolgenden Tagen waren drei weitere Patienten mit den gleichen Symptomen gefolgt. Seitdem herrschte Alarmbereitschaft in der Seuchenstation auf dem Campus des Virchow-Klinikums, der größten ihrer Art in ganz Deutschland.
Heute um sechzehn Uhr traten zwei Männer in dunklen Anzügen und mit ernsten Mienen durch die gläserne Eingangstür der Klinik. Dr. Jan Kreidel, Mikrobiologe und Seuchenbeauftragter der Gesundheitsbehörde, und Dr. Gerard Schwarz, Leiter der Infektionsepidemiologie des Robert-Koch-Instituts, steuerten geradewegs auf den Fahrstuhl zu, der sie in den dritten Stock zum Büro des Chefarztes brachte. Dort wartete bereits eine Kommission aus Ärzten auf die beiden. Nachdem sich alle begrüßt hatten, setzten sie sich an den langen Tisch in der Mitte des Zimmers.
»Ein Patient ist letzte Nacht verstorben«, berichtete Professor Dr. Peter Schulzki, der Chefarzt und Leiter der Ärztekommission. »Die drei anderen liegen mittlerweile im Koma und müssen künstlich beatmet werden. Anfangs dachten wir, dass das hohe Fieber durch
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