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Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Titel: Pandaemonium - Die Letzte Gefahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Odin
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einzige Seite in ihrem Buch gewidmet. Dennoch erfuhr das Mädchen ziemlich viel über diese Leute, da sie im Fernsehen auftauchten und allgemeines Gesprächsthema bei den anderen Bewohnern der Platte waren.
    Daher wusste Naomi auch, was sie durch das Wohnzimmerfenster der Pawutzkes, dessen Vorhänge nie zugezogen waren, bald sehen könnte. Angelina würde in zirka zehn Minuten das Licht einschalten und mit einer Flasche Cola light, Möhren und Selleriestangen in der Hand erscheinen, nachdem sie sich im Bad abgeschminkt und einen rosafarbenen Jogginganzug angezogen hatte. Sie würde sich dann auf die Couch knallen und den ganzen Abend vor der Glotze abhängen.
    Naomi zoomte heran. Plötzlich sah sie, wie ein kleines Tier mit Fell auf dem Flachdach über der Wohnung der Pawutzkes kurz vor ihre Linse huschte und dann weiterrannte. Sie schwenkte das Fernrohr und stellte es scharf. Die Kreatur kauerte hinter einer großen Parabolantenne auf dem Dach. Aufgrund des schummrigen Lichts konnte Naomi zunächst nicht genau erkennen, was es war. Zunächst vermutete sie, dass es sich um eine Ratte handelte, doch dann kroch das Tier langsam aus seinem Versteck hervor, und sie sah, dass es ein kleiner, braun-weiß gescheckter Hund war. Ihr fiel ein weißer Verband an seinem rechten Ohr auf. Wie kommt der dort hinauf? , schoss es ihr durch den Kopf.
    Der Hund schaute sich nach allen Seiten um, dann blieb sein Blick an etwas hängen. Er fing an, zu knurren und die Zähne zu fletschen. Wem drohte er?
    Naomi drehte das Fernrohr in die Richtung, in die der Hund starrte. In der Ausgangsluke zum Dach stand jemand. Naomi konnte nicht erkennen, wer es war. Die Person blieb einen Moment stehen, dann trat sie einen Schritt nach vorne.
    Jetzt konnte Naomi erkennen, dass es sich um einen Jungen handelte. Seine halblangen, hellblonden Haare bewegten sich sanft im Wind. Der Hund begann, ihn anzubellen. Der Junge neigte den Kopf ein wenig zur Seite, so als wollte er fragen: Was willst du, Hund? Dann bewegte er sich weiter auf das Tier zu. Naomi fiel auf, dass seine Bewegungen irgendwie steif aussahen. Hatte er eine Gehbehinderung? Der Hund wich langsam zurück. Erst einen, dann mehrere Schritte. Bald war er nicht mehr weit von der Dachkante entfernt.
    Naomi erschrak, als sie plötzlich das Gesicht des Jungen erkannte. Es war Kenny. Kenny Stielke!
    Meine Name ist Kenny Stielke, ich bin zwölf Jahre alt und gehe in die sechste Klasse. Mein Papa ist Polizist, meine Mama arbeitet in einem Reisebüro … und ich wünsche mir nichts mehr als einen tollen Hund, mit dem ich viel Spaß haben kann.
    Der Hund, der ihn da ankläffte – das war sein Hund!

13
    BERLIN-MITTE, PLATTENBAUSIEDLUNG,
27. NOVEMBER
    Witter war in Phase drei angelangt. Nach Phase zwei, dem In-der-Wohnung-Verkriechen, kam jetzt als logische Konsequenz das Zum-Sterben-in-die-Höhle-Zurückziehen. Als krönender Abschluss dieser Phase würde er den finalen Showdown, seinen Exitus, inszenieren: entweder durch einen leisen Abgang mit Tabletten oder durch eine etwas spektakuläre Aktion, indem er sich vor eine U-Bahn oder von einer Brücke stürzte. Interessieren würde es im Grunde keinen. Sein Tod würde höchstens als eine kleine Randnotiz in irgendeinem Revolverblatt auftauchen – wieder so ein einsamer, kranker Rentner, der einen Schlussstrich unter sein mieses Leben gesetzt hatte.
    Aus Angst, die schwarze Wolke könnte durch jede noch so kleine Ritze in die Wohnung hereinschlüpfen, hatte er alle möglichen Durchlässe abgeklebt. Die Fenster waren mit Zeitungen verdeckt, und die Spalten zwischen Tür und Rahmen, die Zylinder der Schlösser und die Wasserhähne hatte er mit dickem Klebeband versperrt. Da er deswegen in seiner Wohnung keinen Zugang zu fließendem Wasser mehr besaß, hatte er sich seit zwei Tagen nicht mehr gewaschen, und allmählich begann er zu stinken.
    Aber das war ihm egal: Seit er auf dem Flur gesehen hatte, wie das Böse in Kenny hineingeströmt war, hatte er beschlossen zu sterben. Das Hochgefühl, das er – der Wolkenseher – anfangs verspürt hatte, war einer tiefen Depression gewichen. Anstelle der großen Lebenslust, die er anfangs aufgrund seiner neuen visionären Fähigkeiten wiedergefunden hatte, empfand er jetzt eine starke Todessehnsucht.
    Er wollte nicht warten, bis ihm der Tumor das letzte verbleibende Stück Gehirn zu Brei zermalmen oder bis er verhungern würde – denn zum Einkaufen traute er sich nicht mehr hinaus. Und so drehten sich seine

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