Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
Interview mit einem PR-Sprecher des Berliner Zoos. Er berichtete, welche Maßnahmen geplant waren, um das grausame Blutbad im Streichelzoo, das sich in die Köpfe der Leute eingebrannt hatte, vergessen zu machen und den Image-Schaden für den Tierpark möglichst gering zu halten.
Naomis Mutter schaltete auf Klassik Radio um und begann, Tomaten und anderes Gemüse zu stückeln und in die heiße Pfanne zu werfen. Der Reis kochte schon. Die Uhr an der Wand zeigte neunzehn Uhr fünfzehn an. In einer Stunde würde sie die Wohnung verlassen müssen. Heute Abend arbeitete sie als Babysitterin bei einem wohlhabenden Ehepaar am Prenzlberg, das mal wieder das Theater besuchen wollte.
Zwanzig Minuten später war das Essen fertig. Sie verteilte den Reis und das Gemüse auf zwei Tellern und rief in Richtung Flur: »Naomi, kommst du bitte! Essen!«
Naomi lag in ihrem Zimmer auf dem Bett und war gerade in ihr Büchlein vertieft. Sie schaute kurz auf und erwiderte laut: »Ja, gleich!«
Die letzten Tage war sie ihre Aufzeichnungen über Johanna Wedkind immer wieder durchgegangen. Mit Blick auf die Umstände ihres Ablebens, die ein dramatisches Ende darstellten, ergaben die schicksalhafte Verkettung der Ereignisse und das seltsame Verhalten, das sie bei der Alten zuvor beobachtet hatte, durchaus einen Sinn. Als letzten Eintrag hatte sie niedergeschrieben:
24. November
Tod
Sie klappte das Buch zu und sprang vom Bett auf. Als sie zur Tür hereinkam, stand ihre Mutter gerade am Küchentisch und zündete eine Kerze an. Sie wirkte müde. Todmüde. Das Bild löste bei Naomi für einen Moment eine tiefe Wehmut aus. Ihre Mutter war in letzter Zeit deutlich gealtert. Ihr tiefschwarzes Haar hatte graue Strähnen bekommen, und ihre Haut war schlaff und grau geworden. Ihre Mundwinkel hingen herunter, ohne dass sie selbst es merkte, und sie lachte nur noch ganz selten. Am schlimmsten aber war, dass das Leuchten in ihren Augen allmählich erlosch. Wie bei den meisten Menschen, denen das Leben schwer zusetzte.
»Ich weiß, es ist nichts Besonderes, aber ich hoffe, es schmeckt dir trotzdem«, sagte Simone mit dem Versuch eines Lächelns. Naomi erwiderte es und setzte sich hin. Sie nörgelte nie wegen des Essens, das einfach war, wenig kostete, aber immer schmeckte.
Die beiden aßen, ohne dabei ein Wort zu wechseln. Nur das Klappern des Bestecks und ein gelegentliches Scheppern in den Heizungsrohren, das so klang, als würde jemand in der Nachbarwohnung mit einem Metallgegenstand dagegenschlagen, durchschnitten die Stille.
Nach dem Essen blickte Simone ihre Tochter traurig an und erklärte: »Wenn ich könnte, würden wir wieder von hier wegziehen … Es tut mir unendlich leid, dass ich dir dein altes Leben nicht mehr zurückgeben kann.« Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
»Ich weiß Mama, ich weiß«, versuchte Naomi, sie zu beruhigen, und legte ihre Hand auf die der Mutter. »Ist nicht schlimm.« Sie wechselte das Thema, weil sie nicht wollte, dass ihre Mutter wieder in Selbstmitleid verfiel. »Wo könnte sich die alte Frau Wedkind wohl mit dem Virus angesteckt haben?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Simone. »Man kann sich auf unterschiedlichste Weise anstecken. Durch Tröpfcheninfektionen über die Luft. Berührung mit infizierten Tieren oder Menschen. Blut- und Schleimhautkontakte.«
»Aber was soll das denn für ein Virus sein, das derart aggressive Verhaltensänderungen hervorruft?«
Simone zuckte mit den Schultern. »Ständig gibt es neue Viren, die wir noch nicht kennen und die von überall auf der Welt zu uns eingeschleppt werden. Allerdings kann ich mir nur schwer vorstellen, dass sich ein derartiger Erreger wie ein Grippe-Virus über die Luft verbreitet.«
»Warum bist du dir da so sicher?«, fragte Naomi.
»Weil das eher unwahrscheinlich ist.« Simone wusste, dass ihre Antwort nicht glaubhaft klang, aber sie hatte keine Lust, sich weiter damit zu beschäftigen: Ansonsten würde der Gedanke, dass sie beide direkt neben der toten Wedkind gewohnt hatten, nicht nur sie selbst in Hysterie versetzen, sondern auch Naomi. Und das wollte sie nach dem jüngsten Zusammenbruch ihrer Tochter auf gar keinen Fall riskieren. Doch in ihrem Kopf sponn sich der Gedanke weiter: Selbst wenn sie Hals über Kopf ihre Sachen packen und aus der Platte ausziehen würden, wären sie dann vor dem Virus sicher? Die gesamte Bevölkerung war im Falle einer Ausbreitung des Virus sowieso auf Gedeih und Verderb darauf
Weitere Kostenlose Bücher