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Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Titel: Pandaemonium - Die Letzte Gefahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Odin
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groß sein. Seine Haare verbarg er unter einer Strickmütze. Das markante Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen wirkte bleich und alterslos. Er mochte Anfang dreißig, vielleicht aber auch schon zehn Jahre älter sein; so genau war das nicht zu erkennen.
    Witter sträubten sich die Nackenhaare, als der Mann stehen blieb, seinen Kopf zu ihm hindrehte und ihn anstarrte. Es war das gleiche Gefühl wie in der U-Bahn, als sich die schwarze Wolke ausgebreitet und alles aufgesogen hatte. Vergleichbar mit einer schrillenden Alarmglocke, die unerwartet und plötzlich losging, meldete sich sein Tumor wieder und begann, höllisch zu brennen. Die Papiertüte fiel ihm aus der Hand, und der Inhalt fiel zu Boden. Eine Mineralwasserflasche zerbrach beim Aufprall und bildete eine sprudelnde Pfütze auf dem grauen, abgenutzten Betonboden. Witter wollte sich an den Kopf fassen, doch es gelang ihm nicht, seine Arme mehr als ein paar Zentimeter zu heben. Wie zwei schlaffe Sandsäcke hingen sie an seinem Körper herab, so als ob jemand mit einer Spritze Kraft aus ihnen herausgezogen hätte. Eine Stimme in Witter schrie: Hau ab, so schnell du kannst! Aber er war nicht mehr dazu in der Lage.
    Witter, zu einem unverrückbaren Steinmonument verdammt, sah, wie der unbekannte Mann mit einem Ruck seinen Mund aufklappte – und eine Reihe kleiner, spitzer Zähne wie die eines Hais entblößte. Dann stieß er seinen Atem aus, was wie ein tiefer Seufzer klang. Dabei quoll aus seinem Rachen eine schwarze Wolke, die innerhalb des Bruchteils einer Sekunde zum Angriff überging und nach vorne schoss – direkt auf Witters weit geöffnete Augen zu. In seinen vergrößerten Pupillen spiegelte das Miasma sich wieder, als es nur wenige Millimeter vor seinem Gesicht zum Stehen kam.
    Außer einem Pochen in seinem Kopf spürte Witter jetzt … NICHTS. Keine Beklemmung. Keine Angst. Keinerlei Emotion. Fühlte sich so das Böse an? Wie das NICHTS? Witter stand einfach da und wartete. Auf irgendetwas … vielleicht auf seinen Tod. Er wusste es nicht. Doch die Wolke rührte sich nicht weiter, blieb wie eine Wand vor ihm stehen. Warum verschlang sie ihn nicht? Dann geschah etwas Unerwartetes. Hinter sich hörte er Schritte.
    »Hallo, Herr Witter, ist alles okay?«, fragte eine Stimme. »Warten Sie, ich helfe Ihnen, die Sachen wieder aufzuheben.«
    Witter war nicht dazu imstande, sich umzudrehen, aber er erkannte die Stimme. Es war die von Kenny, dem zwölfjährigen Jungen aus der Nachbarwohnung! Ein ganz netter Junge, immer freundlich, immer hilfsbereit.
    »Verschwinde, Kenny! Hau ab!«, röchelte er. Sein Mund war ganz trocken. Vor seinem geistigen Auge sah er, wie Kenny fragend sein Gesicht verzog, weil er nicht kapierte, warum sein Hilfsangebot so barsch zurückgewiesen wurde.
    Er sieht die Wolke nicht! Sieht er den Mann vielleicht auch nicht!?
    Witter verspürte plötzlich Angst. Angst um den Jungen. »Verpiss dich endlich!«, schrie er.
    Das Verhalten des alten Mannes machte dem Jungen Angst; das konnte man aus dem Zittern in der Stimme heraushören, als Kenny entgegnete: »Ja, schon gut, Herr Witter.«
    Mit Entsetzen bemerkte Witter, dass sich die Wolke plötzlich von seinem Gesicht wegbewegte und seitlich an ihm vorbei nach hinten schwebte. Er mobilisierte seine letzten Kraftreserven, und es gelang ihm, sich umzudrehen. Der Junge stand zitternd vor ihm und schaute ihn mit großen Augen an. Witter musste ein schreckliches Bild abgeben. Wie ein Zombie.
    »Soll ich einen Arzt rufen?«, stammelte Kenny.
    Du bist ein toller Junge, Kenny!
    Kenny begriff nicht, in welcher Gefahr er sich befand. Die Wolke hatte den Jungen nun komplett eingehüllt und strömte durch Mund, Nase und Ohren in seinen Körper hinein. Witter wurde bei dem Anblick von einer tiefen Trauer gepackt, und er begann, wie ein kleines Kind zu schluchzen.
    »Nicht weinen, Herr Witter – alles wird wieder gut«, sagte Kenny.
    Er konnte nicht wissen, dass der alte Mann nicht um sich selbst, sondern um ihn weinte.

12
    BERLIN-MITTE, PLATTENBAUSIEDLUNG,
27. NOVEMBER
    Der letzte der vier Patienten auf der Seuchenstation des Virchow-Klinikums, die sich alle mit einem noch unbekannten Virus infiziert hatten, verstarb heute Morgen. Wie die Klinik mitteilte, sind bisher keine weiteren Neuinfektionen mit dem Virus bekannt. Es laufen derzeit Ermittlungen zu möglichen Infektionsquellen und Ausbreitungswegen im Umfeld der verstorbenen Patienten.
    Nach den Abendnachrichten auf Berlin Aktuell folgte ein

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