Pandoras Kuss
Sie nannten sich Schwester Marie-Claire und sahen genauso aus wie die Ordensschwester, die in meiner Internatsklasse Religion und Ethik unterrichtete.
Die reale Schwester Marie-Claire hatte den Altersdurchschnitt ihrer Kongregation ungefähr halbiert, weil sie keine dreißig war, als sie mir zum ersten Mal im Klassenzimmer gegenüberstand. Sie vermittelte ihre strengen Moralvorstellungen mit einem derartigen Feuer und einer solchen Überzeugungskraft, sie hätte vermutlich selbst Osama bin Laden zu einem guten Christen bekehren können.
Mein religiöser Eifer ließ allerdings je älter ich wurde immer mehr nach. Was nicht unwesentlich mit dem Bild der Frau zusammenhing, das die Heilige Mutter Kirche in Rom vertrat.
Was mich trotz dem weiterhin zu solch einer Weltklasseexpertin in Schuldgefühlen machte, war die etwas verzerrte Version von Schwester Marie-Claire, die sich seit meiner Schulzeit auf dem katholischen Mädcheninternat in irgendeiner Kammer meines Bewusstseins eingenistet hatte und kaum eine passende oder unpassende Gelegenheit vorübergehen ließ, mich mit ihrem drohend erhobenen Moralzeigefinger zu nerven.
Okay, soweit so gut.
Der absolute Tiefpunkt war erreicht, sobald ich auf dieses Buch einer Sexualwissenschaftlerin stieß. Es hieß „Die schöne Unbekannte“ und es ging darin um die Klitoris und den weiblichen Orgasmus. Und die Ärztin, die es verfasste , war derzeit – zu Beginn des 21. Jahrhunderts – die einzige Wissenschaftlerin weltweit, die ausschließlich über die Klitoris forschte.
Das war schon mehr als nur verrückt oder seltsam.
Das war unheimlich .
Ich meine, die Menschheit hatte einen Mann auf den Mond geschossen und würde demnächst vermutlich sogar ein Raumschiff zum Ma rs schicken und trotzdem stritten wir uns immer noch darüber, ob der G-Punkt nun wirklich existierte oder nicht?
Das war der Moment, an dem ich beschloss, dass ich dringend deinen Koffeinstoß nötig hatte.
Eigentlich war ich ja sicher, dass ich etwas Stärkeres als ei nen Kaffee nötig hatte, aber unterdrückte heldinnenhaft den Drang zum Weinregal, statt der Kaffeemaschine zu gehen.
So brühte ich mir eine Kanne Kaffee und kehrte damit ins Wohnzimmer zu meiner Couch und dem Laptop zurück.
Sexsuchttherapie, Geschlechtsverkehr mit Tieren und die Auswirkungen von Sexualkundeunterricht – alles schön und gut, aber das war nicht ganz wonach ich suchte.
Was i ch suchte, waren eindeutige Antworten dazu, was ich bei Persephones Treffen zu erwarten hätte. Dass die irgendwie mit einer eher dunklen Seite von Sex zusammenhängen mussten, stand nach der Sache mit dem Sklavenhalsband ja wohl fest. Falls mich trotzdem irgendwelche Zweifel darüber beschlichen hätten worum es ihr wirklich ging, brauchte ich mir nur vor Augen zu halten, wie hart ihre Nippel geworden waren, als sie mich zwang diesen Wisch zu unterzeichnen.
Also ab dafür, dachte ich , Schluss mit dem gewöhnlichen Schweinkram, jetzt kamen die wirklich harten und perversen Sachen aufs Tablett.
10 .
Ich versuchte mich an allen möglichen Suchbegriffen und surfte auf hunderte n von Webseiten, Blogs und Artikeln. Nach zwei weiteren Stunden war meine Kaffeekanne leer, ich hatte aber nicht das Gefühl meinem Ziel wirklich ein Stück näher gekommen zu sein.
Faz it meiner Recherche bis hierhin: Keiner wusste irgendetwas Genaues. Was allerdings niemanden daran hinderte, trotzdem via Internet seine Meinung in die Welt zu posaunen.
Großartig.
Meine beste und älteste Freundin Constance behauptete, dass seit der Erfindung des Internets die Psychologen ohnehin harten Zeiten entgegengingen, weil Profilneurotiker, Paranoiker und Phobiker ihre Neurosen und Wahnvorstellungen seither nicht mehr auf der Couch ihrer Therapeuten behandeln ließen, sondern sich in Internetforen und Blogs austobten und dabei selbst therapierten.
Ehre wem Ehre gebührte, nach einem halben Tag an Internetrecherche konnte ich Constance s Analyse nur zustimmen.
Als dann auch noch meine Mutter anrief , um mich dazu zu drängen, morgen früh auch ja zur Messe zu gehen, fand ich es an der Zeit doch endliche eine Flasche Rotwein zu köpfen.
Waren mir die Äußerungen der seriösen Experten und Wissenschaftler schon oft genug verwirrend und abwegig vorgekommen, s o war das nichts gemessen an der Verwirrung, die mich auf den einschlägigen Blogs, Foren und Sex-Ratgeberwebseiten erwartete.
Nach zwei weiteren Stunden – der Rotwein war inzwischen bedenklich zur Neige
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