Panic
Brunft so richtig losginge.
Ich schulterte meinen Rucksack und machte mich auf den Weg, durch zwanzig Zentimeter Neuschnee. Ich trug gerade so viel an Kleidung, wie ich brauchte, um während des Laufens nicht auszukühlen: eine Strumpfhose unter der grünen Wollhose, weich besohlte Gummistiefel mit Lederstulpen, ein Polypropylen-Oberteil mit Reißverschluss am Rollkragen, darüber eine Fleece-Weste unter einem roten Wildlederhemd und der grün-schwarz karierten Wolljacke. Behagliche Fäustlinge, rote Filzmütze. Im Rucksack hatte ich zusätzliche Kleidung, eine Taschenlampe, ein Seil, eine Feldflasche, mehrere Messer und eine Überlebensausrüstung.
Es wurde langsam hell, und ich ging durch die Schneeflocken, durch ein Dickicht aus Felsenbirnen und Pappeln. Nach etwa dreihundert Metern wurde der Weg steiler. Ich stieg auf ein offenes Felsplateau, das einen gewissen Ausblick bot. Nichts regte sich. Keine Geräusche waren zu hören.
Einen Augenblick lang hatte ich das beklemmende Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Nervös sah ich mich um. Doch so schnell es gekommen war, verschwand es wieder. Ich sah zu meinem Gewehr hinunter. Die Jahre fielen von mir ab. Ich hätte wieder ein Teenager sein können. Es ist schwer zu beschreiben, aber das Gewehr veränderte alles, verlieh jeder meiner Gesten einen Sinn.
Der schwere Schnee dämpfte meine Schritte. Trotzdem setzte ich zuerst die Zehen auf, ehe ich den Fuß nach hinten abrollte, um unter der dünnen Stiefelsohle den Boden abtasten zu können. Sobald ich auf einen Zweig oder Stock trat, wäre der Wald vor meiner Gegenwart gewarnt. Ich weitete mein Blickfeld aus, sah die seitlichen Ränder zwar etwas verschwommen, nahm aber jede Bewegung darin wahr. Ich hielt mir die Nase zu und pustete sanft meine Gehörgänge durch, damit auch wirklich jedes Geräusch an mein Ohr drang. Als ich weiterging, hörte ich das leise Rieseln der Schneeflocken auf die braunen Blätter, die noch an den Bäumen hingen, hörte das Scharren eines roten Eichhörnchens auf einem umgestürzten Stamm, und jetzt, in der Ferne, das Rauschen des Dream River, der nach Norden strömte.
Die ersten Trittsiegel, auf die ich stieß, waren die einer Hirschkuh – schmal, herzförmig und zart gemustert, anders als die stumpfzehige Fährte, die den Bock verrät. Sie hatte am Gestrüpp geknabbert und war in Schlangenlinien gelaufen, bevor sie in östlicher Richtung den Hügel hinaufgegangen war. Ich zog den Handschuh aus und ging in die Hocke, um den Rand der Spur zu berühren. »Zwanzig Minuten, nicht länger«, sagte ich mir.
In der nächsten Stunde stieß ich noch mehrmals auf die Spuren von Kühen, kleineren Böcken und Jährlingen, bis ich schließlich die eines größeren Tiers entdeckte. Tiefe und Abstand der Trittsiegel sagten mir, dass der Hirsch wahrscheinlich eher ein Mittelgewicht war; vielleicht hundertfünfzig bis hundertfünfundsechzig Pfund, sagte ich mir und bezweifelte, dass er schon ausgewachsen war und ein anständiges Geweih trug. Um wieder in Übung zu kommen, folgte ich seiner Spur trotzdem.
Sie kreuzte einen kleinen Bachlauf, durchquerte ebenes Gelände und umging den Fels, der darin aufragte. Dann führte sie mich hügelabwärts und geradewegs nach Norden.
Ich war dem Hirsch fast eine halbe Stunde lang gefolgt, als seine bisher schnurgerade Fährte ins Schlängeln geriet und aus dem Rhythmus kam. Die Knospen an einem Strauch waren in Hüfthöhe abgebissen. Ich erstarrte und suchte klopfenden Herzens den Hang zu meiner Linken ab, da ich befürchtete, das Tier könne meine Witterung aufgenommen haben. Nichts. Dann ein kaum wahrnehmbares Blinken. Ich hob das Fernglas ans Auge, richtete es auf besagten Fleck und entdeckte den Kopf eines Achtenders. Das Tier hatte es sich gemütlich gemacht und war am Wiederkäuen.
Ich suchte seine nähere Umgebung ab und entdeckte nicht weit von ihm zwei Kühe, aber das war’s auch schon. Ich pfiff. Der Hirsch stand auf, glotzte gespannt zu mir herüber. Ich nahm ihn ins Visier, zielte ihm genau aufs Blatt und »Peng!«, sagte ich. Da machte er kehrt und sprang davon, dicht gefolgt von den Kühen.
Das Innenfutter meiner Mütze war feucht von Schweiß. Ich atmete schwer. Ein leichter Krampf saß mir im Oberschenkel. Doch dies wurde von der Freude mehr als wettgemacht, dass ich doch noch nicht all meine Fähigkeiten verloren hatte. Eingerostet waren sie, das schon. Aber sie waren noch ein Teil von mir. Ich trank einen Schluck aus der Flasche,
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