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Panic

Panic

Titel: Panic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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verschnaufte kurz, warf einen Blick auf den Kompass und ging weiter.
    Eine Stunde später stand ich achthundert Meter über dem Flussbett auf einem Bergrücken. Laut Karte war ich etwa fünf Kilometer vom Holzstapelplatz entfernt. Und jetzt spürte ich zum ersten Mal seit langer Zeit, was es hieß, in der Wildnis zu sein. Es lag nicht nur an den alten Bäumen, die um mich herum in die Höhe ragten, obwohl sie ihren Teil dazu beitrugen. Auch nicht am Schneesturm, der stärker und wieder schwächer wurde. Auch nicht am schwachen Rauschen des Flusses, obwohl auch er daran teilhatte. Wie soll ich es nur erklären? Es war das Gefühl, klein zu sein, mir selbst entfremdet, und gerade durch diese Entfremdung fühlte ich mich getröstet. Ich holte eine Daunenweste aus dem Rucksack, zog sie an und setzte mich mit dem Rücken gegen einen schneebedeckten Stamm. Welch ein Genuss, nach so vielen Jahren wieder den Launen der Natur ausgesetzt zu sein!
    Der Fluss war jetzt deutlich zu hören. Ich schloss die Augen und spürte bis hier oben die tosende Kraft des Wassers. Sie hüllte mich ein, erinnerte mich an meine Mutter. Sie wollte, dass ich sie bei ihrem Vornamen Katherine nannte. Ich weiß noch, ich war vier und saß mit meinem Vater und Mitchell am Ufer des Wasataquoik-Flusses in der Junisonne.
    »Schau mir zu!«, rief Katherine. Sie brachte die Angelrute mit der Fliege in einem weichen Bogen nach hinten und wieder nach vorn. Ihr fülliges braunes Haar wallte unter dem albernen Strohhut hervor, den sie immer trug, wenn sie am Fluss war. Sie watete sicher und kraftvoll zwischen den Steinen und Strudeln, während sie die Angel in die seichte Strömung zwischen den Felsen und ins tiefe Wasser auswarf, das die Uferböschung unterspülte. An der Wasseroberfläche, neben der Fliege, ein Kräuseln. Sie hob die Rutenspitze an, um den Haken zu setzen. Während sie die Forelle ins seichte Wasser zwang, winkte sie mich zu sich. Ich glitt das Ufer hinunter und watete ins kalte Wasser.
    »Schnell«, sagte sie. »Mach die Hände nass und fühl ihren Bauch.«
    Ich ließ meine Hände unter den Fisch gleiten und umfing ihn, betrachtete eingehend seine smaragdgrünen Flecken, die rosa Haut und die nachtblauen Tupfen auf dem geschmeidigen Rücken. Als Katherine den Fisch wieder vom Haken ließ, flitzte er in den Stromschnellen davon. Von diesem Moment an wusste ich, dass die Bachforelle alle Farben an sich trug, die meine Mutter ausmachten.
    Katherine hatte zunächst ein paar Semester Chemie studiert, doch dann war sie, wie ihr Vater, Juristin geworden und in die Politik gegangen. Als sie Hart Jackman, meinen Vater, kennen lernte, der damals bereits ein viel versprechender junger Chirurg war und sich aktiv für die Rechte der Indianer einsetzte, galt Katherine wegen ihres Kampfes für die Reinerhaltung der Gewässer als aufsteigender Stern im staatlichen Repräsentantenhaus. Als Kind erinnere ich mich an die vielen Menschen, die tagtäglich zu uns kamen, um Katherine Jackman, der einflussreichen Senatorin und Präsidentin des Innenausschusses, ihre Anliegen vorzutragen.
    Im Spätsommer pflegte Katherine am Forellenteich vor dem Haus Hof zu halten. Ich musste lächeln, wenn ich an die verdutzten Gesichter der Lobbyisten dachte. Sie hatte sie aufgefordert, im Pavillon Schuhe und Socken auszuziehen, die feinen Anzughosen hochzukrempeln, und sie dann ihre Füße im seichten Wasser badend ihr Anliegen vortragen lassen.
    Im Sommer, als ich acht war, schenkte mir Katherine meine erste Fliegenfischer-Ausrüstung. Ich watete mit ihr in die kalten Frühlingsbäche, um Nymphen auszuwerfen.
    »Es geht darum, dass du dich mit deiner Fliege als Teil des Flusses zu erkennen gibst«, sagte sie mir. »Dann wird die Forelle dein Angebot annehmen.«
    Doch es gelang mir nicht, die Angelschnur richtig zu entrollen, sosehr ich es auch versuchte. Von da an übte Katherine in diesem Sommer jeden Morgen mit mir. Bevor sie zur Arbeit fuhr, wateten wir beide ins seichte Wasser ihres Teichs. Dort trat sie hinter mich, legte die Arme um mich und ließ mich den Rhythmus ihres Wurfs spüren. Mitchell saß unterdessen im Schaukelstuhl auf der Veranda und sah uns schweigend zu. Selbst als ich ihre Technik längst beherrschte, warfen wir weiterhin täglich die Angel aus, von April bis Oktober, bei Regen und Sonne. Der Morgen gehörte uns. An manchen Tagen besprachen wir dabei meine Mädchenprobleme, an anderen erzählte sie mir von ihrem Leben in Augusta. Doch am liebsten

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