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Panter, Tiger und andere

Panter, Tiger und andere

Titel: Panter, Tiger und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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seine Rücksicht zu belohnen und kopfschüttelnd, voll aufrichtiger Bewunderung, nach einem letzten Blick auf den Ruhenden, zog er ganz leise die Tür hinter sich zu.« Neid ist immer ein gutes Kriterium: Diese Sätze möchte ich geschrieben haben.
    Ganz echt der Abschied der Arresthauswache von Grischa, als der zum Umlegen geführt wird. Sie haben den Russen lange Monate bei sich gehabt, er hat ihnen die Öfen geheizt, die Zigaretten mit ihnen geteilt, jeder hat den Russen gern gehabt. »Die Deutschen bringen keinen Laut heraus, nur ein junger, blaß und mit aufgerissenen Augen, erwidert ihm« – … was? Etwas völlig Blödsinniges, denn er weiß ja, wohin es mit jenem geht – aber etwas ganz und gar Echtes. Er sagt:
    »Machs gut, Kamerad, leb wohl!«
    Es wimmelt von sprachlichen Feinheiten, jede der letzte Extrakt sauberster Arbeit, quellender Einfälle. Bei der Erschießung: »Der Priester murmelt und priestert.« Einmal, als Grischa in seiner Zelle verzweifelt liegt: »Der Russe sprach mit sich selbst; halblaut und ununterbrochen raunte er in seiner Sprache Worte.« Und sofort die Reaktion des pathoslosen Soldaten daneben: »Er sabbert, dachte Sacht, es läuft ihm vom Munde weg wie Spucke…« Einmal das ganze deutsche Militär in einem Satz: »Macht der Angeklagte einen guten Eindruck – steht er militärisch stramm und sauber da, geweckt, aber nicht zu intelligent …« In Ordnung.
    Ein Dichter ist ein Mensch, der seine Gefühle aufbewahren kann. Welch ein sorgfältiger Arbeiter dieser Zweig ist, zeigt die Stelle, in der beschrieben wird, wie der zum Tode verurteilte Russe sein eignes Grab graben muß. Der Keim zu diesem Thema liegt schon in einer Novelle Zweigs, die hier in der ›Weltbühne‹ im Jahre 1914 erschienen ist (»Die Bestie«), und derentwegen unser Blatt damals vom Oberkommando in den Marken beschlagnahmt worden ist. Da ist es ein belgischer Bauer, der sich sein Grab vor der Erschießung gräbt, und beide Mal ist der schöne dichterische Gedanke ausgeführt, wie den Grabenden die Erde freut: die fette, fruchtbare, saubere Bauern-Erde.
    Wenn es manchmal mit dem Stil der gesprochnen Sprache für mein Empfinden nicht so recht klappt, so hängt das mit einer sehr, sehr schwer zu entwirrenden Sache zusammen. Ich will nicht von den kleinen Spritzern reden; merkwürdig, wie ein musikalischer Autor so etwas stehenlassen kann: Ein Militär-Lokomotivführer unterhält sich vorn auf der Lokomotive mit seinem Heizer. »Weißt du noch, wie du immer Wild zu sehen glaubtest … ?« Nun gibt es im Volk wenig erzählende Imperfekta; da steht fast allemal das Perfektum, und natürlich hat der Mann gesagt: »Weißt du noch, wie du immer gedacht hast, da war Wild …« Und dass das Wort »Triumph« mit einem f geschrieben ist und das Wort »Atmosphäre« auch: das hat mich einen Löffel Fruchtsalz gekostet. Ich weiß, dass die Sprache fortschreitet und sich wandelt: dies ist kein schöner Wandel, wenn auch ein diskutierbarer.
    Aber das ist es nicht; es ist nicht nur dieser Satz und jener – es ist etwas andres, schwereres.
    Es gibt einen Realismus, der mit der photographischen Abbildung der Wirklichkeit eine Freude am Abbilden vereint; einen Naturalismus der Tuchfühlung, des leichten Puffs mit dem Ellenbogen: »Du weißt doch, wie ichs meine?« Hauptmann hat das im großen Stil; der Vorgang ist so unerklärlich wie jeder biochemische; das, was herauskommt, lebt einfach, ist ein warmer Organismus, der zuckt. Die Gefahr für schwache Autoren ist zu große Nähe des Objekts. Bei Zweig liegt exakteste Beobachtungsgabe zugrunde: sie ist aber häufig in eine Sphäre herauf gehoben, die mir zu »edel« erscheint. Das Buch fängt so an:
    »Es steht ein Mann im dicken Schnee, unten am Fuße eines schwarz angekohlten Baumes, der spitzwinklig in gute Höhe ragt mitten im verbrannten Walde, schwarz auf vielfach zertretener Weiße. Der Mensch, gekleidet in viele Hüllen, versenkt die Hände in die Taschen – –« Nein, so fängt es leider nicht an. Sondern so:
    »Die Erde, Tellus, ein kleiner Planet, strudelt emsig durch den kohlschwarzen, atemlos eisigen Raum, der durchspült wird von Hunderten von Wellen, Schwingungen, Bewegungen eines Unbekannten, des Aethers, und die, wenn sie Festes treffen und Widerstand sie aufflammen läßt, Licht werden…« O du mein Deutschland! Aber könnt ihr denn nicht begreifen, dass der liebe Gott benebst anhängendem Kosmos im Zwiebelmuster einer Kaffeekanne zu finden ist und nicht in

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