Papa ante Palma
existenzielle Entscheidung treffen kann,
seine Heimat zu verlassen, um nach Katalonien oder auf die Balearischen Inseln
zu ziehen, ohne die dort gesprochene Sprache lernen zu wollen. Ein Dilemma, das
vermutlich für immer zwischen den Auswanderern und den Einheimischen stehen
wird.
»Hier bitte«, sagt der Kellner mit dem pomadigen
Haar und dem vernarbten Kinn.
»Gracias.«
Da steht auch schon Marta in der Tür, und ich
winke ihr zu. Unsere Vermieterin trägt ein blaues Poloshirt, eine sportliche
weiße Hose und dazu Turnschuhe. Sie lächelt sanftmütig, als sie mich entdeckt.
Zwar hat sie ihre besten Jahre längst hinter sich, aber sie ist immer noch
schön.
»Nun, wie war die erste Nacht im neuen Haus?«,
fragt sie freundlich und setzt sich zu mir.
» Pues , nicht so gut.
Marta, kann es sein, dass ihr uns etwas Wichtiges verschwiegen habt?«
»So, was denn?« Sie wirkt bestürzt.
»Kann es sein …« Ich schüttele den Kopf, da
ich es selbst kaum glauben kann, jetzt, da ich es frage. »Also, kann es sein,
dass in unserem Haus noch jemand wohnt? Wand an Wand oder vielmehr Bett an Klo
mit uns?«
Martas Gesichtszüge hellen sich wieder auf. »Ach,
du meinst Teresa? Sie wohnt seit fast fünfzig Jahren in dem Haus. Seit einer
Weile kann sie nur noch mit einem Stock laufen, aber ansonsten ist sie sehr
rüstig. Ihr Leben lang hat sie hart in einer der Schuhmanufakturen geschuftet,
für die Alaró früher landesweit einen guten Ruf genossen hat. Sie war eine gute
Freundin von Rosa. Der separate Eingang zu ihrer Wohnung ist um die Hausecke.
Ihr teilt euch nur den zweiten Stock mit ihr.«
»Aha. Kann sie den Garten denn auch nutzen?«
»Nein, aber sie kann von ihrem Wohnzimmerfenster
aus in den Hof hinunterschauen.«
»Warum habt ihr uns denn nichts davon
gesagt?«
» Pues , stört sie euch
irgendwie?«
»Nein … Ich hätte es nur gerne vorher
gewusst, ob ich im Garten nackt herumlaufen kann, oder nicht.«
»Macht man das in Deutschland?«, fragt Marta
keck.
»Äh«, stottere ich, »nicht immer. Also, ich
meine, es ist kein Sport oder so, aber in Deutschland wollen die Menschen
zumindest wissen, ob sie die Möglichkeit dazu hätten. Ob sie es dann machen, ist
etwas ganz anderes. Wir Deutschen zahlen gerne für Optionen, auch wenn wir sie
dann nicht nutzen.«
»Tu dir keinen Zwang an. Teresa würde sich sicher
freuen.«
Wir lachen.
»Ist das auch der Grund, warum ihr die Tür habt
zumauern lassen?«
»Ja. Der Durchgang hat nach oben und durch eine
weitere Tür auch in ihre Wohnung geführt.«
Am Tisch der alten Männer erhebt sich plötzlich
ein lautes Raunen, als der Kellner etwas Unverständliches ruft. Wir blicken
ebenfalls auf. Da betritt ein großgewachsener Mann die Bar. Obwohl nur eine
Handvoll Leute anwesend sind, macht sich eine deutliche Unruhe unter den
Anwesenden breit. Selbst Marta zupft plötzlich an ihrem Shirt, schaut kurz zum
Busencheck an sich herunter und steckt noch mal das Haar hoch. Der Kellner
begrüßt den Mann, der enganliegende Joggingsachen und Laufschuhe trägt, mit
einem High five. Einer der alten Dörfler fängt sogar an zu applaudieren.
Der Jogger hat graumeliertes Haar, ein kantiges
Gesicht mit unzähligen Lachfalten, die kometenschweifartig von seinen Augen
abgehen, und blitzende, fast unnatürlich weiße Zähne, wie diese Zahnarztfrau aus
der Fernsehwerbung. Insgesamt erinnert er entfernt an George Clooney, nur ist er
ein wenig größer und muskulöser. Er kaut Kaugummi. Nein, er kaut nicht, er
zermalmt das Ding förmlich. Mit dem Druck mehrerer Tonnen presst er die Kiefer
auf das Kautschukplättchen, dass die Backenmuskeln hervortreten wie bei einem
grasenden Rennpferd. Ich hasse solche Typen. Wenn sie den Raum betreten, fühlt
man sich wie ein Schuljunge.
» Com va aixo , wie
geht’s, Jaume?«, fragt er den Kellner mit prüfendem, aber herzlichem Blick.
» Bé, bé , gut, gut«,
antwortet der Kellner hastig, so als ob der andere nur schnelle und möglichst
positive Antworten akzeptiere. Ohne dass der Jogger etwas bestellt hat, stellt
ihm der Kellner einen cortado auf den Tresen.
» Wer ist das?«, frage
ich Marta leise.
Sie räuspert sich. »Das ist Jaume!«
»Ich meine nicht den Kellner, sondern den
anderen.«
»Er heißt auch Jaume.«
»Heißen hier alle Jaume?«
»Er ist der erste Mallorquiner, der den Ironman
auf Hawaii absolviert hat, außerdem hat er fünf Achttausender bestiegen und an
einem Marathon durch die Sahara teilgenommen. Er arbeitet beim
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