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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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begleitet
von einem Flackern, das den Raum immer wieder für den Bruchteil einer Sekunde
blitzlichtartig ausleuchtet. Genau wie dieses Leuchten, das man aus Horrorfilmen
kennt, wenn der Täter immer wieder sein entstelltes Opfer und die mit Blut
geschriebene Nachricht über dem Bett ablichtet. Das Blitzen sieht dann draußen
ein Rentner, der gerade den Müll rausbringt, und verständigt schließlich die
Polizei.
    »Das ist ja grauenhaft. Da scheint noch Strom
durchzufließen. Ich drehe die Birne für heute Nacht mal raus und kümmere mich
morgen darum.«
    »Vale« , maunzt Lucia,
schon halb im Schlaf.
    Auf Zehenspitzen löse ich die Birne unter lautem
Quietschen aus der Fassung, wobei mir pulveriger Rost auf die Unterarme rieselt.
»Popp«, macht es, dann Dunkelheit. Vollkommene Dunkelheit. Unser Schlafzimmer
ist eine Dunkelkammer in einem Tunnel unter dem Schwarzwald bei
Mondfinsternis.
    Ich werfe mich auf das sanft schaukelnde Bett. »Buenas noches« , flüstere ich zu Lucia hinüber
und küsse sie auf die Stirn.
    Erst jetzt, in dem ersten Moment der Ruhe seit
Tagen, spüre ich, dass meine Glieder bleischwer sind. Es ist, als sänke ich
metertief in die Wassermatratze, ja, als würde ich das Häutchen des Wassersacks
förmlich durchstoßen und langsam auf den Grund des Bassins strudeln, während
sich die warme Wasseroberfläche über mir schließt wie der Reißverschluss eines
Leichensacks.
    »Ääähhhrrr.«
    Sofort sitze ich aufrecht im Bett. Die Kinder
schreien. Aber in diesem Schreien liegt noch etwas anderes. Etwas Entrücktes,
Raues. Reflexartig suche ich den Lichtschalter, aber noch während ich die Wand
nach ihm abtaste, fällt mir die herausgeschraubte Glühbirne wieder ein. Ich
schwinge mich vom Bett und fahre mit den Händen langsam die Wände in Richtung
Tür ab. In ein paar Wochen werde ich blind durch das Haus laufen, aber noch kann
ich die Abstände und Maße nicht recht abschätzen. Endlich habe ich die Tür zum
Durchgangsraum ertastet. In ihrem Rücken sollte sich der Lichtschalter zum Flur
befinden. Klick, Licht.
    »Ääähhhrrr. Raooo.«
    »Jaaa, ist ja gut. Ich komme schon.« Doch
irgendetwas ist eigenartig. Je näher ich dem Zimmer der Mädchen komme, desto
leiser und entfernter klingen die Schreie. Tatsächlich: Schon durch den Türspalt
zum Kinderzimmer kann ich erkennen, dass die beiden friedlich schlummern. Ein
wundervoller Anblick ist das. Schlafende Menschen stehen sowieso ganz weit oben
auf meiner persönlichen Schönheitsskala. Wenn mich jemand nach den fünf
weltschönsten Dingen fragte, würde ich antworten: »A) meine drei schlafenden
Frauen, b) eine alte, schmatzende Fender, c) das Barrì Xino in Barcelona von
1990 bis 1997, d) Beethovens Klavierkonzerte und e) das 4:0 im Spiel Deutschland
gegen Argentinien bei der Fußball- WM in
Südafrika.«
    Wenn die Kinder nicht schreien, wer dann?
    » ÄÄÄÖÖÖRRRRRRRRRRRRRR .«
    Zurück im Flur, versuche ich das grausige
Geschrei zu orten, indem ich den Kopf teleskopartig hin und her schwenke.
Diesmal kommt es eindeutig von draußen, aus dem Garten. Katzen!, durchzuckt es
mich. Wenn es keine misshandelten Kinder sind, die sich in der Dämmerung in
unserem Garten versammelt haben, müssen es Katzen sein. Viele Katzen. Sie
klingen wie Babys, denen man die Haut abzieht. Vermutlich geht es ihnen aber
gut, sie sind gar rollig und im Liebestaumel. Sozusagen ein Universum entfernt
von den langweiligen Schlafstörungen und Schreitraumata eines zugereisten,
tagaktiven Familienvaters. Vielleicht haben sich immer schon alle Katzen aus dem
Dorf in dem Lustgarten hinter unserem Haus gepaart und geneckt. Das wird ein
jähes Ende haben.
    Mit Hilfe des Flurlichts poltere ich an Lucia
vorbei durch das lampenlose Schlafzimmer, öffne die Terrassentür und stampfe
dreimal fest auf den Steinboden auf. Mit einem Mal verstummt das werbende
Konzert, und allerorten schießen kleine Körper torpedohaft aus den Büschen und
Bäumen die angrenzenden Mauern hoch.
    »Fickt in eurem eigenen Garten«, krakeele ich den
kleinen Raubtieren hinterher, obwohl ich genau weiß, dass sie vermutlich über
keinen solchen verfügen.
    »Komm wieder ins Bett«, greint Lucia.
    »Bin unterwegs.« Ich schließe die Terrassentür
hinter mir.
    »Irre ich mich, oder warst nicht du derjenige von
uns beiden, der auf dem Dorf groß geworden ist?«, fragt Lucia.
    »Ja, schon, aber es kommt mir vor wie aus einem
anderen Leben.«
    »Bitte mach noch das Licht im Flur aus und lass
uns endlich

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