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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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beiden
flüstern, dann war es still.
    Am nächsten Morgen wachte ich vom einfallenden
Licht und der Hintergrundmusik, diesmal Barry White, auf. In der Ecke standen
zwei Matratzen aufrecht an der Wand. Die Katalanen waren bereits fort. Als ich
meine Fahrradkleidung angelegt hatte und die Schuhe hochnahm, stutzte ich. Nicht
nur die Katalanen waren weg, auch von dem Käfer fehlte jede Spur.
    Auf meinem Handy, das noch neben der Matratze
lag, leuchtete das Symbol für eine empfangene SMS .
Lucia schrieb: »Heute wieder beim Ultraschall gewesen. Es sind zwei Mädchen. Bin
kurzatmig. Love.«
    Beschwingt und etwas beunruhigt zugleich raste
ich durch die Fischerdörfer Kantabriens, passierte die auf Pfählen stehenden
Kornspeicher Asturiens und verirrte mich in den Eukalyptuswäldern Galiciens. Ich
traf nur wenige Menschen auf der nördlichen Route, die nichts mit dem völlig
überlaufenen bekannten »französischen« Weg im Süden zu tun hatte. Ich schlief
auf Fliesenböden und verlausten Matratzen, zwischen schnarchenden Schotten und
endlos faselnden Franzosen. Ich kackte in finstere Wälder und trank aus Bächen
ungewisser Herkunft. Die letzten zweihundert Kilometer konnte ich nur noch im
Stehen fahren, da mein Hintern glühte wie der mächtige Ätna zu Bestzeiten.
Irgendwo in Galicien war ich einmal so erschöpft, dass mir helle Blitze
erschienen, als würden mich die Leute am Straßenrand fotografieren. Es wäre ein
Leichtes gewesen, dies abends bei den geselligen Runden als spirituelle
Erfahrung zu verkaufen, die so manch ein Pilger herbeisehnte. Stattdessen fragte
ich nach Wundsalbe und Wein.
    Die kurze Nachricht von Lucia hatte alles
verändert. Mir war klargeworden, dass es gar nicht um mich ging. Die Reise hatte
nichts mit meiner Abenteuerlust zu tun, die ich torschlusspanisch stillen
musste, bevor ich Vater wurde. Ich musste auch niemandem etwas beweisen. Nein,
das hier war kein Trip, den ich für mich machte. Wäre es nach mir gegangen,
würde ich mich von einer Asiatin mit Eselsmilch massieren lassen und dabei
Fußball gucken. Das hier war meine persönliche Schwangerschaft. Mein Leiden.
Meine Solidarität mit Lucia. Ich fuhr für sie.
    Obwohl mir das alles vordergründig kitschig,
albern und ein bisschen mittelalterlich vorkam, gefiel mir der Gedanke. Alles
ergab plötzlich einen Sinn. Auf einmal wollte ich nur noch eines: So schnell wie
möglich nach Santiago de Compostela gelangen, Jakob um eine reibungslose Geburt,
um eine Entschädigung für die Strapazen und meinen wunden Hintern bitten, und
dann nichts wie ab nach Hause.
    »Papa! Papaaa!«, ruft Luna und ruckelt an
meiner Hand. Sie hat offensichtlich bemerkt, dass ich mit meinen Gedanken ganz
woanders bin.
    Kurz darauf geht die Tür eines der charmanten
Dorfhäuser auf, und ein Mann kommt heraus. Er geht langsam und nach vorne
gebeugt, als würde er einen unsichtbaren Karren ziehen. Auf seinem linken
Unterarm wippt ein akkurat drapierter Stapel blauer Zettel. Am Theater bleibt er
kurz stehen, dann nimmt er einen Zettel, klebt ihn neben den Eingang und geht
weiter. Neugierig ziehen mich die Kinder zur Theatertür. Auf dem Zettel ist ein
pixeliges Bild einer alten Frau mit Brille zu sehen. Darunter stehen ein Name
und die Jahreszahlen 1937–2010.
    »Wer ist das?«, fragt Sophie.
    »Ich weiß es nicht, Schatz! Aber ich weiß, dass
der Mann erst eine Durchsage macht und danach blaue Zettel aufhängt, wenn
hier jemand in den Himmel kommt. Das finde ich eigentlich ganz schön. Und ich
weiß, dass wir uns sputen müssen.« Ich ziehe die Zwillinge mit einem
leichten Ruck von der Tür weg.
    Wir biegen in eine immer enger werdende Straße
ein, die wie eine Rodelbahn durch die Häuserreihen mäandert.
    Zuerst höre ich nur das Brummen, dann kommen sie.
Riesige Geländewagen, zusammengeschweißt in Süddeutschland, England und Fernost.
Eine ganze Karawane, als ob sie ein Staatsoberhaupt in ihrer Mitte führten. Alle
schwarz oder silbern.
    »Luna und Sophie, schnell!«
    Ich springe mit den Kindern in eine offene Tür,
von wo aus wir mit gebührendem Abstand die vorbeifahrenden Offroader beobachten,
auf denen bedrohliche Namenszüge wie Emperior, Invader und Attack prangen. Darin
sitzen jeweils eine Frau am Steuer und ein bis zwei Kinder auf den Rücksitzen.
Die Kleinen wirken in den riesigen Polstern so verloren wie vereinzelte
Medizinbälle in einer Turnhalle. Einige der Frauen und Kinder winken uns sogar.
Fehlt nur noch, dass sie Blumen und Konfetti werfen.
    »Na

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