Papa ante Palma
Flatulenzen inmitten der totenstillen Dorfnächte haben wir uns längst gewöhnt. Und was die weitere direkte Nachbarschaft aus Mallorquinern betrifft, so haben sich zwei Lager gebildet. Einige beachten uns einfach nicht. Kein Gruß. Kein Blick. Nichts. Andere wiederum sind herzlich und liebevoll. Sie bringen Mehlspeisen und Gewürze vorbei, erzählen uns von früher, als die fleißigsten Söhne die guten Äcker der Inselmitte erbten und die einfältigsten unter ihnen die unfruchtbaren Strände bekamen. Erstere wären heute immer noch arm, die anderen Millionäre.
Heute Nachmittag kommt unsere Nachbarin von gegenüber vorbei, eine freundliche ältere Frau, die dank ihres Kurzhaarschnitts und der rundlichen Brillengläser etwas von einer Eule hat. Sie führt einen Friseursalon, der im Stundentakt Omas mit lila Haaren ausspuckt. Manchmal schleicht sie sich in unseren Flur, ohne dass ich es bemerke. Meist hat sie dann zwei Plombenzieher in der Hand. Für die Mädchen. Dabei handelt es sich um diese Bonbons, die nach einem Karnevalsumzug noch wochenlang im Rinnstein liegen bleiben. Will man das Papierchen entfernen, bemerkt man schnell, wie ungern sich das Bonbon davon trennen mag. Ein eigenartiger, suppender Klebstoff ist entstanden, der Fäden zieht und einen Hauch von Labor-Aprikose freigibt.
Die Kinder wollen die Bonbons natürlich so schnell wie möglich essen, und nehmen gerne in Kauf, dass noch kleine Papierinselchen auf der Bonbonoberfläche kleben. Die Frau steht immer daneben, neigt den Kopf leicht zur Seite und lächelt. Ich versuche dann notgedrungen, die letzten Papierreste zu beseitigen, doch oft grabe ich die Fingernägel viel zu tief ins Bonbonfleisch oder drücke so unsanft zu, dass an den Seiten bereits die glasige Füllung heraustritt. Die Frau grinst mich dann an, während die Kinder an mir hochspringen wie zwei Rottweiler, deren Herrchen gerade nach Hause gekommen ist. Irgendwann gebe ich auf und stecke ihnen die Bonbons in den Mund, ehe ich mich artig bedanke und die Dame zur Tür geleite.
Heute steht sie wieder mal unverhofft im Flur und hält etwas in der Hand. Die Kinder rennen freudig auf sie zu, doch diesmal will ich nein sagen und versuche die Frau zeitgleich mit den Zwillingen zu erreichen, um die Warenausgabe zu verhindern. Aber ich bin zu spät.
»Was ist das?«, frage ich erstaunt.
Die Kinder haben jeweils einen Plastikhaarreif in der Hand, an dem zwei kleine rote Hörner befestigt sind.
»Das ist für die Fiesta de Sant Roc. Es sind demonis , Teufel«, freut sie sich.
»Teufel?« Ich stutze.
»Si« , sagt die Frau, deren Namen ich nicht mal kenne, und grinst. »Bald wirst du ihn erleben. Den Tanz der Teufel.«
Es ist Samstagmorgen, Ende August. Ungewöhnlich viele Stimmen dringen von der Straße in den Patio, in dem wir wie fast jeden Tag versuchen, ein halbwegs zivilisiertes Frühstück abzuhalten. Eins ohne umgeworfene Milchgläser, Nutellastullen auf meiner Hose und Kinder, die nach einem Bissen lieber auf die Schaukel gehen.
Wir hören einige Jungs, die juchzend und mit klatschenden Sandalen die Straße herunterrennen, außerdem Mütter, die eben jene Jungs lautstark zurückrufen, und Väter, die sich mit anderen Vätern am Bierstand verabreden. Alles strömt zur Plaza, um der Fiesta de Sant Roc beizuwohnen.
»Papa, Hörner jetzt?«, bettelt Luna aufgeregt und zappelt mit den Füßen.
»Was für Hörner?«, fragt Lucia, während die Kinder aufspringen, um den diabolischen Kopfschmuck zu holen.
»Gestern war die Frau vom Friseursalon da«, erkläre ich ihr. »Sie hat den Kindern winzige Teufelshörner geschenkt. Wegen der Fiesta heute.«
Luna und Sophie kommen breit grinsend aus dem Haus, auf dem Kopf die Teufelshörner.
»Ich kann keine Veränderung feststellen«, sagt Lucia lachend. »Nein, jetzt mal im Ernst, Mäuse, ihr seht super aus.«
»Wir gehen nachher mal auf die Plaza«, schlage ich vor. Dabei könnte ich mir ebenso gut einen kompletten Nachmittag auf dem Sofa vorstellen. Ohne Teufel.
Als wir kurz darauf auf der Plaza ankommen, platzt sie schon aus allen Nähten. Alle haben sich herausgeputzt zum großen Showdown der Dämonen. Quer über den Platz sind Papiergirlanden gespannt. Die Bar Can Jordi schenkt an einer Außentheke Bier in Plastikbechern aus. Der Dorfbäcker wandert mit einem Tablett durch die Menge und preist seine bunyols an, in Fett ausgebackene Anisbällchen.
Über die Lautsprecheranlage werden heute ausnahmsweise mal nicht die Namen von Toten
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