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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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Rückweg nach Barcelona«, erklärten sie mir.
    »Wollt ihr vielleicht ein paar Schokokekse?«,
fragte ich und hielt ihnen die Packung hin.
    »Gracias.« Sie nahmen
das Angebot gerne an und wollten sich mit einem Bohneneintopf aus der Dose
revanchieren, den ich dankend ablehnte.
    Der Ort hatte wirklich Charme, wie ich bei meinem
kleinen Ausflug feststellte. Im Hafen wiegten sich die kleinen hölzernen Boote
friedlich im Takt des Meeres, während das warme Licht der Abendsonne die
mittelalterlichen Gässchen rund um den Kirchberg erhellte. Wo sie nicht mehr
hinschien, standen überall schon die Männer in den Hauseingängen. Ältere Männer.
Zu alt für die Sonne. Die Dämmerung kam ihnen gerade recht, denn da gerieten sie
in Stimmung. Mit ihren karierten kurzärmeligen Hemden und den Bundfaltenhosen,
die Hände hinterm Rücken verschränkt, schauten sie den jungen Frauen hinterher
und dachten sich ihren Teil. Langsam strömten auch die ersten Großfamilien aus
den Häusern. Nach der kleinen obligatorischen Runde am Hafen verschwanden sie in
den vielen kleinen Restaurants mit Meerblick. Hier war Spanien endlich so wie in
den Prospekten.
    Als ich in die Tennishalle zurückkam, lagen die
Katalanen schon auf ihren Matratzen und lasen. Ich warf mich auf den freien
Schaumstofflappen. Mit der Karte in der Hand überlegte ich gerade, wie weit ich
am nächsten Tag wohl fahren könnte, da hörte ich Stimmengemurmel auf dem Gang,
das immer lauter wurde. Die Tür zu unserer Kabine öffnete sich, und eine Horde
gutgelaunter, braungebrannter Opas spazierte herein. Ohne uns auch nur eines
Blickes zu würdigen, streiften sie flink die langen Sommerhosen, karierten
Hemden und die Feinrippunterwäsche ab, bis sie nackt neben, zwischen und über
uns standen. Obwohl mir ihre betagten Glockenspiele schon fast gegen die Stirn
bammelten, ließen sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Mit der Abgeklärtheit des
Alters zogen sie sich die antiquierten Tennishosen knapp bis unter die Achseln,
ohne auch für eine Sekunde ihre Unterhaltung über irgendwelche Lokalthemen
einzustellen. Bei derart hochgezogenen Hosen hätten sie nun wahrlich keine
Oberteile mehr gebraucht, doch nachdem sie den Stoff über ihre bronzefarbenen
Bäuche gestreift hatten, entschwanden sie genauso gutgelaunt, wie sie
hereingekommen waren.
    Noch eine ganze Weile hörten wir ihre laute,
angeregte Unterhaltung durch die Gänge hallen, bis langsam, aber sicher wieder
Julio Iglesias buttrig aus dem Deckenloch ertönte.
    Ich schaute zu den Katalanen hinüber, die schon
etliche hundert Kilometer in den Beinen hatten, und fragte: »Sagt mal, sind alle
Pilgerherbergen so?«
    Sie lachten.
    Um 20.45 Uhr kam der Hallenwart alias
Herbergsvati herein und sagte, wir sollten uns jetzt besser die Zähne putzen,
denn gleich werde er das Licht und die Musik ausmachen, jawohl, auch die
Musik.
    » Vale , machen wir«,
antworteten wir artig im Chor.
    Also putzten wir uns brav die Zähne und legten
uns auf die Matten, den Blick auf den kleinen Deckenlautsprecher gerichtet, aus
dem wir dank Julio erfuhren, was Liebe so alles mit einem anrichten kann.
Plötzlich knisterte es im Klangbild, und das Signal wurde schwächer. Vielleicht
ein Orkan über dem Atlantik? Sollte der heilige Jakob meine Gebete jetzt schon
erhört haben, nach nur fünfundsechzig, wenn auch höllenhaften, Kilometern?
    Dann verstummte das Signal abrupt, und mit einer
schier unglaublichen Lautstärke blökte die nasale Stimme des Hallenwarts aus dem
Lautsprecher: »In fünf Sekunden geht das Licht aus und die Musik, jawohl, auch
die Musik!«
    »Wieso habe ich nur das Gefühl, dass er das
Ausschalten der Musik als pädagogisches Druckmittel benutzt?«, fragte ich den
Katalanen.
    » CINCO  …«, der
Hallenwart zählte runter, » CUATRO  … TRES  …« Ich stellte mir vor, wir wären ein
internationales Forschungs- und Astronautenteam, das zu einer defekten
Raumstation hochgeschossen werden soll. » DOS  …«
Wir waren jahrelang auf diesen Moment vorbereitet worden, und nun kam es drauf
an. Eine einzige Fehlzündung würde das Projekt mittelfristig gefährden und
Millionen verschlingen. » UNO  …« Zündung!
    Nee, nur Licht aus. Mit einem »Plopp«
verabschiedete sich der Boss von uns. Roger, Over und Aus, dachte ich.
    Weit gefehlt. Durch ein schmales Fenster in der
Umkleide drang von draußen ein schwaches indirektes Licht herein, das die
Umkleide in ein dunkles Blau tauchte, so, als befänden wir uns auf dem
Meeresgrund.

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