Papa ante Palma
einem Stuhl sitzt, die Hände auf einen Gehstock gestützt. Eine andere, fast
ebenso alte Frau steht derweil vor der Vitrine und betrachtet in Seelenruhe die
wenigen Teigwaren dahinter: drei ensaimadas , mit
Schmalz gebackene Sauerteigkringel, das mallorquinische Nationalgebäck. Daneben
ruhen die traurigen Reste einer Quiche mit Schinken-Käse-Füllung sowie ein paar
runde Bauernbrote, pan morenos . An der Wand stehen
eine Box mit Speiseeis und ein riesiger Kühlschrank mit Glastür, in dem eine
einsame rosafarbene Cremetorte vor sich hin dämmert. Von der Verkäuferin keine
Spur.
»Buenos días« , grüße
ich die anwesenden Frauen.
»Buenos días« , grüßt
die Alte auf dem Stuhl freundlich zurück und hebt dabei eine Hand vom Stock.
Ihre Augen stehen weit auseinander. Das rechte
Auge zielt links und das linke rechts an mir vorbei. Obwohl ich direkt vor ihr
stehe, befinde ich mich damit im toten Winkel. Da ich nicht genau weiß, wo ich
hingucken soll, entscheide ich mich für ihr linkes Auge.
Die Frau an der Vitrine reagiert gar nicht. Als
ich mich ihr nähere, um auch einen Blick in den Glaskasten zu werfen, sagt sie
plötzlich: »Al final lo encontraste.«
Zunächst bin ich leicht verwirrt und denke, dass
sie etwas bestellt oder den Satz an die andere Frau gerichtet hat. Doch
offensichtlich meint sie mich.
Sie dreht sich zu mir um und wiederholt das
Gesagte. »Du hast sie also doch noch gefunden.«
»Bitte?«, erwidere ich.
»Na, deine Brieftasche«, sagt die fremde Frau.
»Du hast erst gedacht, man hätte sie dir geklaut, aber dann war sie doch in
einer von deinen Hosen.«
Fehlt nur noch, dass sie »im Kneifer« sagt, denke
ich entsetzt und starre verlegen auf die Käse-Schinken-Quiche.
Willkommen im Dorf!
Zwölf
Wir wohnen inzwischen seit über einem Monat in Alaró. Die Kinder mögen den Hort, und die internationale Elterngemeinschaft hat uns größtenteils akzeptiert. Ich habe sogar einen deutschen Abend ausgerichtet, um den Integrationsprozess zu beschleunigen. Lucia fand die Idee riesig. Ich konsultierte meine Mutter wegen ein paar typisch deutscher Rezepte und lud kurzerhand alles zu uns nach Hause ein, was sich gerade auf dem Dorfspielplatz tummelte.
Leider waren meine Reibekuchen innen pappig und außen überkross. Der Kartoffelsalat nahm zu meiner Überraschung ein kräftiges Achtziger-Jahre-Pink an, als ich die gewürfelte Rote Bete hineingab. Außerdem waren mir alle, aber auch wirklich alle Knackwürste geplatzt und bekamen dadurch irgendwie was Obszönes. Aber die Gäste haben es geliebt. Vor allem die Schweden und Engländer wollten gar nicht mehr nach Hause gehen. Lucia meinte, es hätte eher am bayrischen Weizenbier gelegen, für das ich quer über die halbe Insel gefahren war, als am Essen oder gar an meinem Charme als Gastgeber. John, einer der Engländer, hat mich im Gegenzug zu einer Kickertruppe eingeladen, die nur aus Vätern besteht und einmal pro Woche auf dem Dorffußballplatz spielt.
Das ließ ich mir natürlich nicht entgehen. Auch wenn ich über zehn Jahre gegen keinen Ball mehr getreten hatte, war es ein großer Spaß. Eine Reihe Mallorquiner spielten auch mit, die mich alle sehr freundlich aufnahmen und mir sofort den Spitznamen » el muro de Berlín , die Berliner Mauer« verpassten, nur weil ich einmal gegen den winzigen Dorfschreiner Xavier krachte und er theatralisch im hohen Bogen von mir abprallte. Beim Kicken lernte ich auch noch zwei weitere deutsche Väter kennen: Ingo, einen sehr kontrollierten und beinahe mundtoten Koch aus dem Münsterland, und Matthias, einen überdrehten Schwaben mit krausem Haar, der Hochseeyachten internetfähig macht.
Lucia liebt das Dorf. Zwar ist der Weg zur Arbeit für sie nun länger, doch wird sie dafür jeden Abend mit einem perfekten Kleinod entlohnt. Der leicht bäuerliche Touch ist für sie einfach der perfekte Kontrapunkt zum Flughafen-Konferenzraum-Leben. Außerdem hat sie sich gleich mit ein paar einheimischen Nachbarsfrauen und Müttern zu einer Art Girlsgroup zusammengeschlossen. Die Frauen machen zusammen Pilates, Kochabende und bestellen bei Miguel, einem Biobauern, wöchentlich Obst- und Gemüsekörbe. Überflüssig, zu erwähnen, dass Lucia die Gruppe auf Facebook verwaltet und die Körbe zu uns nach Hause geliefert werden, wo ich dann die Gemüseausgabe an ihre neuen Bekanntschaften organisieren darf, weil meine Holde mal wieder bis zehn Uhr abends im Büro sitzt.
Selbst an Teresas schauderhafte Stuhlgänge und
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