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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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sie ihn angestellt, als ich im Lebensmittelladen war. Ich konnte auch das erkennen, was von Yardley stammte.
    Sie schrieb, dass unklar sei, wer von den beiden Journalisten – mein Bruder oder Yardley Acheman – behaupte, den Bauunternehmer gefunden zu haben, und dass, obwohl die Existenz des Mannes inzwischen fraglich sei, weder die
Times
noch die Journalisten unter Berufung auf den Grundsatz der Vertraulichkeit seinen Namen preisgeben wollten.
    »Über die offenen Fragen«, schrieb sie, »haben sich nicht nur die einstigen Partner zerstritten, sondern gleich die ganze Zeitung, da diese ihre Glaubwürdigkeit infrage gestellt sieht. Laut Aussage eines Sprechers der
Times
besteht zurzeit jedoch keinerlei Absicht, den Pulitzerpreis zurückzugeben.«
    EINIGE TAGE SPÄTER kam der Sonntagsredakteur ins Büro meines Bruders, in dem ich Wards Post öffnete und sortierte.
    »Ist er da?« fragte er.
    Ich sah mich im Zimmer um.
    »Wann kommt er rein?« fragte er.
    »Er arbeitet ein paar Tage zu Hause«, sagte ich. Dabei saß er in seinem Apartment und ging nur vor die Tür, um Bier oder Wodka zu kaufen, Letzteren trank er pur mit Eis oder gemischt mit allem, was er im Kühlschrank fand. Ward hatte die Kartons aus Moat County mitgenommen, und die Papiere lagen über sämtliche Möbel in allen Zimmern seiner Wohnung verteilt.
    Ich war erstaunt, wie unordentlich es bei ihm aussah.
    »Arbeitet hier überhaupt noch jemand?« fragte der Sonntagsredakteur.
    Ich sagte ihm noch einmal, dass Ward seine Arbeit mit nach Hause genommen hatte. Er dachte darüber nach, nickte dann und sagte wie beiläufig: »Wissen Sie, ob man ihn um Interviews gebeten hat? Wegen dieser Geschichte in der
Sun

    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Er sollte mit keinem Menschen reden«, sagte er.
    Darauf wusste ich nichts zu antworten, und einen Augenblick später fragte mich der Sonntagsredakteur, ob ich Ward nach der Arbeit sehen würde.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich.
    »Richten Sie ihm aus, dass er mit niemandem reden soll«, sagte er. »Wir haben uns da in eine Situation hineinmanövriert, und jetzt müssen wir sehen, dass die Sache nicht aus dem Ruder läuft.«
    »Wir haben uns da in eine Situation hineinmanövriert«, sagte ich, »und die Sache ist wichtig.«
    Er starrte mich einen Augenblick an, und ich starrte zurück.
    »Wissen Sie«, sagte er, »dafür, dass Sie nur hier sind, weil Ihr Bruder ein Ass ist, sind Sie ein ziemlicher Klugscheißer, Jack.«
    IRGENDWAS AN DER ART , wie mein Bruder trank, brachte mich auch zum Trinken. Wenn wir es beide taten, lag es vielleicht an der Luft oder an der Nachrichtenredaktion oder an Miami. Wenn wir beide zusammen tranken, ging er nicht allein irgendwohin.
    Was nicht heißen soll, dass ich jeden Nachmittag nach der Arbeit in sein Apartment gehen und mit ihm in der trüben Küche sitzen wollte, der Tisch übersät mit Notizen über Moat County und Schalen schmelzender Eiswürfel, um dann mit ihm geräuschlos im Dunstschleier zu verschwinden.
    Ich war kein sonderlich gesprächiger Trinker, aber im Verlauf eines Abends fand ich doch gelegentlich das eine oder andere Wort, das ich zu sagen hatte.
    Und so ging ich nach der Arbeit, wenn sich Ward zu Hause betrank, oft in eine überfüllte Kneipe namens
Johnny’s
, in der es zwar abgestanden roch, die aber nur wenige Straßen von der Redaktion entfernt lag und dafür bekannt war, dass sich dort Journalisten und Redakteure trafen, um über die Moral im Geschäft der Nachrichtenverbreitung zu philosophieren. Normalerweise beteiligte ich mich nicht an diesen Gesprächen, da sie sich ausnahmslos im Kreis drehten und dieselben Leute Abend für Abend abwechselnd dieselben Behauptungen in die Runde warfen.
    An manchen Abenden allerdings – und es ließ sich unmöglich vorhersagen, wann es dazu kam – hatten einige Frauen aus der Redaktion genug von dem Zeitungsgeschwätz, und schlagartig wurde ein höchst exzentrisches Benehmen an den Tag gelegt.
    Letztes Jahr ging ich beispielsweise an Halloween, kurz nachdem ich in Miami angekommen war, in die Bar und sah den stellvertretenden Chefredakteur der
Times
im geflügelten Teufelskostüm neben der Jukebox stehen, während eine als Schneewittchen verkleidete Frau vor ihm kniete und mit dem Mund seinen Penis bearbeitete.
    Als der Mann zum Höhepunkt kam, legte er die paillettenbesetzten Flügel um ihren Kopf.
    Ich hatte gehofft, noch einmal etwas Derartiges zu sehen, noch einmal einen Abend wie jenen zu erleben, an dem eine junge

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