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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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schreibt ihn, jemand druckt ihn, jemand liest ihn.« Er zuckte die Achseln. »Ist doch alles anonym.«
    »Ist es nicht«, sagte ich. »Es geht um dich!«
    »Willst du ein Bier?« fragte er, sah mit einem Stirnrunzeln auf seine Uhr und ging dann in die Küche. Er kam mit einem Bier und einem Marmeladenglas halb voll mit Wodka zurück.
    Ich trank das Bier, er den Wodka, und dann trank ich noch ein Bier und noch eins, und eine Zeit lang schien es gar nicht so ungewöhnlich, dass mein Bruder morgens schon trank, solange ich nur bei ihm war und mit ihm trank.
    Ich dachte an die Frau, mit der ich die Nacht verbracht hatte, und überlegte, ob sie mich wiedersehen wollte. Als ich ging, hatte sie einen Kater und war nicht gerade gesprächig.
    Ich trank noch ein Bier und fragte meinen Bruder, ob er jemals spätabends schwimmen gegangen sei. Er dachte über die Frage nach, nahm die Wodkaflasche – er hatte sie mit einem Bier für mich ins Wohnzimmer gebracht – und schenkte sich nach.
    »Im Lake Okeechobee«, sagte er. »Du warst vier Jahre alt, und wir haben übers Wochenende gezeltet. Mutter und ich sind abends ins Wasser gegangen, während du mit Vater das Feuer angezündet hast.« Er saß reglos da und erinnerte sich. »Es war wie in der Badewanne«, sagte er. »Und die Steaks haben nach Grillanzünder geschmeckt.«
    Ich konnte mich vage an das Feuer erinnern.
    »Der See ist tot«, sagte ich. »Ich dachte ans Meer.«
    Er überlegte. »Nein«, sagte er dann, »im Meer noch nicht. Wie ist das?«
    »Wenn du nachts schwimmst«, sagte ich, »bist du völlig allein. So allein wie nie zuvor.«
    »Ist es still?« fragte er.
    »O ja«, sagte ich, »es ist still.«
    Einen Augenblick lang sagten wir nichts, dann fiel mir ein, warum ich gekommen war. »Die Kleine von der
Sun
…«, sagte ich.
    Er lächelte mich an und nahm einen Schluck Wodka. »Erzähl mir vom Schwimmen, Jack«, sagte er. »Erzähl mir vom Schwimmen.«
    DIE HERAUSGEBER der
Miami Times
beriefen für Freitagnachmittag eine Konferenz ein. Ward, Yardley Acheman, der Sonntagsredakteur, der Geschäftsführer, der Chefredakteur und ich. Alle, die irgendwas mit dem Artikel über Moat County zu tun gehabt hatten.
    Ich war noch nie bei einer derartigen Konferenz dabei gewesen – eigentlich hatte ich noch keine einzige Konferenz mitgemacht –, und ich fasste meine Einladung als einen Versuch der Zeitung auf, Fakten und Fiktion zu trennen. Also rief ich mir jene Tage ins Gedächtnis, an denen Yardley Acheman gegen die Anstandsregeln des Journalismus verstoßen hatte.
    Das Büro des Herausgebers war größer als das des Chefredakteurs und bot einen Blick über die Biscayne Bay, in der seine Jacht lag. Wir saßen in Ledersesseln und nippten an dem Kaffee, den uns seine Sekretärin auf einem Silbertablett serviert hatte.
    Der Herausgeber saß ungezwungen auf der Kante seines Schreibtisches und erweckte irgendwie den Eindruck, einer von uns zu sein. Yardley Acheman trug einen neuen Anzug, und mein Bruder roch auf unbestimmte Weise nach Alkohol.
    Ward war zum ersten Mal wieder in der Nachrichtenredaktion, und die Redakteure hatten ihn gebeten, nach der Konferenz bei ihnen vorbeizuschauen. Er hatte nichts versprochen.
    »Ich habe Sie heute hergebeten«, sagte der Herausgeber, »um mir ein klares Bild von dem zu verschaffen, was seit der Vergabe des Pulitzerpreises an Yardley und Ward zu mir durchgedrungen ist.«
    Er sah sie beim Sprechen an und ließ seinen Blick länger auf Yardley als auf meinem Bruder ruhen. »Falls wir ein Problem haben«, sagte er, »möchte ich darüber Bescheid wissen.«
    Der Sonntagsredakteur räusperte sich und zog damit die Aufmerksamkeit des Herausgebers auf sich. Doch ehe er ansetzen konnte, unterbrach ihn Yardley Acheman. »Wir haben kein Problem, R. E.«, sagte er. Es war eine Eigenart der Redaktionen, sich quer durch die Bank mit dem Vornamen anzureden. Yardley lehnte sich in seinem Sessel zurück und wirkte so gelassen wie außer ihm nur der Herausgeber. »Wir müssen noch einige Dinge klarstellen, das ist alles.«
    Der Herausgeber wandte sich an den Chefredakteur, um zu sehen, ob er derselben Meinung war. Der Mann betrachtete sorgsam seine Knöchel, dann seine Fingerspitzen. Er hatte viel zu verlieren, und ihm blieben nur wenige Stellen, an die er sich wenden konnte, wenn er verlor.
    »So was passiert schon mal, wenn man zu viele Pulitzerpreise gewinnt«, sagte Yardley, als hätte er all dies schon einmal durchgestanden. »Irgendjemand nimmt dich

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