Paperboy
etwa halb leer und aß dann sämtliche Feigenplätzchen und ein paar Weintrauben.
Allmählich kam wieder Farbe in ihr Gesicht, und kaum ging es ihr wieder gut, schämte sie sich. »Ich mache da so eine Diät«, sagte sie. Ich betrachtete die Überreste der Plätzchen auf dem Bett, den Orangensaft. Die sechs Orangen lagen dort, wo ich sie hingelegt hatte, unberührt. »Wenn man nichts als Popcorn isst, soll man im ersten Monat zwanzig Pfund abnehmen, aber mir wird dabei immer schwindlig.«
Auch sie betrachtete das Bett, als fiele ihr erst jetzt auf, was sie gegessen hatte. »Eine Krankenschwester hat mir erzählt, dass das am Blutzucker liegt«, sagte sie.
Sie begann aufzuräumen und stopfte das Papier, in dem das Feigengebäck eingewickelt war, in den Karton mit dem Orangensaft.
»Das ist mir schrecklich peinlich«, sagte sie.
Sie stand auf, hielt sich am Bett fest und warf dann den Karton in den Mülleimer. Sie sah sich um, als wolle sie das ganze Zimmer aufräumen.
»Am Ende läuft es immer wieder auf dasselbe hinaus«, sagte sie. »Was ich auch mache, ich bin doch stets bloß das dicke Kind, dem in der Schule schlecht wird.« Ich sah, dass sie kurz davorstand, in Tränen auszubrechen, und wusste nicht, wie ich es verhindern konnte. Und dann weinte sie, und das war ihr noch peinlicher.
»Ach, Scheiße«, sagte sie. »Jetzt geht das schon wieder los.« Sie lächelte und weinte zur selben Zeit. Ich saß still da, wartete, dass sie aufhörte, und gab mir Mühe, meinen Blick auf etwas anderes im Zimmer zu richten.
Sie ging ans Waschbecken und ließ sich Wasser in die hohle Hand laufen. Dann richtete sie sich wieder auf, sah feucht aus und setzte sich wieder auf mein Bett.
»Ich habe Ihrem Bruder nie wehtun wollen«, sagte sie und putzte sich die Nase. »Es ging mir um dieses Arschloch Acheman, aber jetzt ist alles irgendwie schiefgelaufen.« Und es lag etwas in ihrer Hoffnungslosigkeit, dem ich vertraute, wahrscheinlich, weil ich mich auch die meiste Zeit hoffnungslos fühlte.
»Ich erzähle Ihnen ein paar Dinge«, sagte ich, »aber die sind nicht für die Zeitung bestimmt.«
Sie sah mich eigenartig an.
»Ich möchte, dass Sie es vertraulich behandeln«, sagte ich.
»Ganz und gar vertraulich«, sagte sie. Und ihre Worte klangen irgendwie falsch, aber ich war bereits zu weit gegangen und konnte nicht mehr zurück. Gleich darauf erzählte ich ihr, wie es ausgesehen hatte, als ich ins Hotelzimmer meines Bruders kam. Die Matrosen, die Polizei, die Sanitäter und Ward, der zu Brei geschlagen worden war.
»Es hatte mit dem Artikel überhaupt nichts zu tun«, sagte ich, »auch nichts mit dem Bauunternehmer, wenn man einmal davon absieht, dass Ward unterwegs war, um ihn zu suchen.«
»Also hat Yardley den Kerl gefunden?«
»Ja, Yardley«, sagte ich.
Und dann hatte ich genug geredet, und sie verstand das und erhob sich, um zu gehen. »Das war alles so schrecklich«, sagte sie und sah sich zum Bett um. »Sie müssen mich für verrückt halten.«
Sie öffnete ihre Handtasche und zog einen Fünfdollarschein heraus. »Was bin ich Ihnen für die Einkäufe schuldig?«
Wir sahen uns beide über den Geldschein hinweg an und wussten nicht, wie wir aus diesem Augenblick wieder herauskamen.
»Lassen Sie es gut sein«, sagte ich.
Sie wartete ein oder zwei Sekunden und legte den Schein dann auf den Sessel neben der Tür. Da wurde mir bewusst, was ich getan hatte. Ich begleitete sie über den Flur, um sie an Froggy Bill vorbeizulotsen, aber er war nicht an seinem Platz, vermutlich berichtete er der Pensionswirtin gerade, was vorgefallen war.
Ich ging in das kubanische Café, um zu frühstücken. Während ich vor einem Teller mit Reis, Fleischsauce und Eiern saß, versuchte ich mich zu erinnern, was genau ich Helen Drew gesagt hatte. Im Stillen wiederholte ich meine Worte und gewann langsam die furchtbare Gewissheit, dass ich Ward an den Feind ausgeliefert hatte.
NOCH AM FREITAG derselben Woche erschien der Artikel, die Schlagzeile auf der Titelseite der
Miami Sun
lautete: SO GEWINNT MAN EINEN PULITZER . Die Story war vierhundert Zeilen lang, wovon etwa die Hälfte einfach nur eine Wiedergabe der ursprünglichen Geschichte war, die andere Hälfte beschrieb die Suche nach dem verschwundenen Bauunternehmer und den Zwischenfall im Hotel in Daytona Beach.
Beim Lesen des Artikels konnte ich das wiedererkennen, was ich ihr erzählt hatte. Sie musste einen Kassettenrekorder in der Handtasche gehabt haben. Wahrscheinlich hatte
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