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Papierkrieg

Titel: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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allein
in meiner Wohnung zu lassen. Aber da war nichts zu machen. »Gut. Ich klingele
in einer halben Stunde.«
    Nachdem ich aufgelegt hatte, ging ich zu meiner neuen
Mitbewohnerin. Die hatte inzwischen die unangenehme Arbeit hinter sich gebracht
und widmete sich den Freuden ihres Schaffens.
    »Dämpf aus und komm. Ich muss noch wen treffen, du kannst dich
solang in ein Café setzen.«
    »Ich geh nimma raus. Draußen is es oasch.«
    Ich überlegte kurz. Meine letzten mobilen Besitztümer waren beim
Einbruch draufgegangen, viel klauen konnte sie nicht mehr.
    »Gut, bleib da, aber bleib alleine. Ich will nicht, dass du
irgendwen einlädst.«
    »Eh kloa. Bin ganz brav. Aber hast net a paar Euro, dass ich was
essen kann?«
    Ich kramte ein paar Scheine raus, viel war
nicht mehr übrig vom Airbookgeld, legte sie auf den Tisch und wies auf ein paar
Menükarten von Lieferfirmen. Ich zog mich um, wickelte mir einen Schal um den
Hals und machte mich auf den Weg.
     

Ix
    Draußen
war es schlimm. Ich fror, mir war schwindlig und ich hatte einen bitteren
Geschmack auf der Zunge. Das abendliche Wien erschien mir unreal. Die hellen
Laternen verschwammen mir ein wenig vor dem dunklen Hintergrund. Die überheizte
U-Bahn mit den geschäftigen Passagieren kam mir vor wie ein unvertrautes Spiel,
dessen Regeln und Ziele man nicht kennt. Ich fragte mich, ob ich für die
anderen auch so fremd wirkte wie für mich selbst. Als ich ausstieg und die
Herrengasse hinunter zum Graben ging, Richtung Stallburggasse, fühlten sich
meine Füße an, als ob ich durch Watte ging. Später, vor der Klingeltafel der
Nummer 9, musste ich kurz innehalten, um mich zu sammeln. Die Knöpfe
verschwammen vor meinen Augen. Als ich mit dem Zeigefinger der rechten Hand den
Klingelknopf der Kanzlei drückte, durchfuhr mich ein Schauer. Der Knopf war
eisig kalt. Es dauerte nicht lange, dann summte der Türöffner und ich trat ein.
Der Wachmann, ich wusste nicht mehr, ob es derselbe war wie das letzte Mal, las
in irgendeinem Abendblatt und ignorierte mich nicht einmal. Ich ging zum Lift
und fuhr hinauf in den dritten Stock. Die Tür zur Kanzlei war angelehnt. Ich
betrat den Raum und ließ die Tür geräuschvoll ins Schloss fallen. Dann wartete
ich ab, was passieren würde.
    Auf dem Weg in die Kanzlei hatte ich fieberhaft, aber
unzusammenhängend versucht, den Ursachen und Motiven dieses Gesprächs auf den
Grund zu gehen. Meine Anstrengungen hatten nicht zu allzu viel geführt, denn
sie waren immer wieder durch Hustenattacken und kleine Bewusstseinsausfälle
unterbrochen worden.
    Entweder Meyerhöffer hatte den Papyrus, brauchte mich nicht mehr
und das war das Ende für mich, oder Meyerhöffer hatte den Papyrus nicht,
brauchte mich aber trotzdem nicht mehr und das war ebenfalls das Ende für mich.
Es gab eine   weitere Alternative: Der
Anrufer war wirklich Unrath und er spielte sein eigenes Spiel, das gegen
Meyerhöffer gerichtet war. Auf diesen Ausgang hatte ich gesetzt. Es gab noch
ein paar andere, aber die waren alle so unvorteilhaft wie die ersten beiden.
    Ich wartete keine zehn Sekunden im Dunkel der Kanzlei, als ich
hinten eine Tür gehen hörte, mitsamt dem charakteristischen Knacken von guten
Herrenschuhen auf bestem Parkett. Die Tür, die vom Empfangsraum nach hinten zu
den Wartesesseln und den beiden Büros führte, öffnete sich. Das brachte ein
wenig Licht in die Angelegenheit.
    Zum Vorschein kam ein kleiner Mann mit glänzender Glatze. Seine
Miene konnte ich im Gegenlicht nicht ausmachen. Aber seine einladende
Handbewegung war eindeutig. Ich ging die paar Schritte auf ihn zu. Wir
schüttelten uns die Hände und nach ein paar Floskeln folgte ich ihm ins Büro.
    Der Raum war genauso eingerichtet wie der von Meyerhöffer auf der
anderen Seite. Mit dem einzigen Unterschied, dass in Meyerhöffers Zimmer alles
penibelster Ordentlichkeit Untertan war, während hier anheimelndes Chaos
vorherrschte. Zeitungen lagen herum, Korrespondenz und aufgeschlagene Akten
waren über das ganze Zimmer verteilt. Unrath bot mir einen Platz an und ich
setzte mich. Bis jetzt hatte nur eine kleine Stehlampe auf dem Tisch für
Beleuchtung gesorgt, das änderte sich, als Unrath einen Schalter betätigte.
Alles wurde hell und die Augen schmerzten für ein paar Augenblicke. Unrath
hatte ein bewegliches, ausdrucksvolles Gesicht, das mit den vollen Lippen und
einer kleinen Nase mit dünnem Rücken fast ein wenig wie das eines

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