Papierkrieg
voller staubiger Bücher, meterweit unter
der Erde. Fritz saß vor einem Schreibtisch und reparierte einen Bucheinband.
Messer, Karton und Leim in verschiedenen Varianten lagen vor ihm ausgebreitet.
Im Mundwinkel hing ihm die obligatorische Camel. Er kam aus einer Zeit, als der
Marlboro-Mann noch nicht erfunden war und nur Hausfrauen die weiß-roten
KKK-Zigaretten rauchten.
»Diese Scheißkopierer«, schimpfte er vor sich hin, »alles wird
heute nur mehr kopiert, aber niemand liest mehr. Darüber gehen die ganzen
Buchrücken kaputt!«
Er drehte sich nicht um, wie die alten Indianer erkannte er den
Menschen an seinem Gang.
»Mittlerweile geben wir mehr Geld für Reparaturen als für
Neubeschaffungen aus! Da reden sie von Gleichberechtigung, Nichtraucher- und
Umweltschutz, aber sie sollten da oben lieber mal für die Bücher kämpfen!«
Ich stellte mich neben ihn und holte das Packpapierpäckchen aus
meiner Aktentasche. »Du musst mir helfen.«
»Du willst doch nicht schon wieder ans Giftschränkchen?«
»Nein, diesmal geht’s nicht um die Grimoire.«
»Gott sei Dank. Was ich damals einen Stress bekam, als sie
herausgefunden hatten, dass ein Buch ausgeliehen worden war, das auf dem Index
Librorum Prohibitorum steht!«
»Nein, diesmal ist es kindisch. Ich hab nur ein Päckchen, ein Buch
in Packpapier eingeschlagen, es ist sehr wertvoll. Darum will ich es nicht zu
Hause lassen, vielleicht kannst du es mir aufbewahren?«
»Unter den anderen im Packpapier wird es nicht auffallen, ich weiß
da ein gutes Plätzchen.« Er wurde ernst und er blickte von seiner Arbeit auf.
»Aber irgendwie hab ich dabei ein ungutes Gefühl. Bist du sicher, dass es keine
Abschrift der Interviews nach der Roswell-Landung ist, oder eine Untersuchung
über die sexuellen Vorlieben von Ratzinger?«
»Nein, sicher nicht, das Buch ist ganz harmlos. Steht fast nichts
drin.«
»Was für eines ist es denn?«
»›Sein und Zeit‹.«
»Mein Gott, in was für eine Sache bist du diesmal
hineingeschlittert?« Er starrte mich an und wartete eine Sekunde auf eine
Antwort, dann hob er abwehrend die Arme und sagte: »Nein, sag nichts, dann muss
ich auch nicht lügen. Ich pass drauf auf, aber geh jetzt, ich muss
weiterarbeiten, bin schon ein paar Jahre im Rückstand.«
Ich grüßte und ging. Über die Schulter schaute ich noch einmal
zurück. Er stand an seinem Pult und klebte weiter an den alten Buchwracks. Die
Zunge klemmte zwischen den Zähnen wie vorher, nur dass er diesmal den Kopf
schüttelte.
Es war Zeit, nach Hause zu fahren.
VII
In
der U-Bahn saß ein kleines Mädchen auf dem Schoß seiner Mutter. Die Kleine war
vielleicht zwei Jahre alt und repetierte immer aufs Neue die zwei Dutzend
Worte, die sie bereits gelernt hatte. Immer und immer wieder. Die Mutter war
öko-alternativ, mit blonden, teilweise rosa eingefärbten Dreadlocks, die sie zu
einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug. Kornblumenblaue Augen, die gleichen,
die auch ihre Tochter hatte. Ihre Unterlippe war mit einem hauchdünnen
Silberring gepierct. Mutter und Tochter waren in Naturfarben gekleidet. Auf dem
T-Shirt der Mutter stand ›SpeedyConKiwi‹, was immer das auch heißen mochte.
Ihnen gegenüber saß ein Herr, vielleicht 60, mit Wohlstandsbauch, Halbglatze
und Spießbürgeroutfit. Der Wiederholungsdrang des allerliebst lispelnden Kindes
ging ihm sichtlich auf die Nerven, bis er schließlich die Beherrschung verlor
und losbrüllte: »Geh hern S’, bringen S’ des Kind zum Schweigen oder i
machs!«
Leider musste ich in diesem Moment aussteigen und konnte den
weiteren Fortgang nicht mehr beobachten. Sind alle Wiener Arschlöcher oder bloß
die Männer, oder ist Gott schon lange tot und wir sind in der Hölle und wissen
es bloß nicht?
Ich fuhr den U-Bahn-Schacht mit dem Lift hinauf. Vor dem Ausgang
lümmelte das ewig gleiche Dutzend Hauptschüler herum, rauchend und vorsichtig
zum anderen Geschlecht schielend.
Ich wollte gerade die Straße überqueren, da heulte neben mir die
Sechs-Liter-Maschine eines Pontiac TransAm 77 auf. Ich musste nicht hinsehen,
um zu wissen, wer da im Wagen saß. Mike, ein Mittfünfziger, hatte langes,
krauses Blondhaar, das die Zeit langsam grau färbte. Sein Gesicht war rot wie
Feuer, die Nase begann, eine rot-bläuliche Färbung anzunehmen, und die kleinen
Schweinsäuglein blickten flink umher. Mit seiner schwarzen Lederjacke saß er
hinter dem Lenkrad. In der Rechten hielt er ein 16er
Weitere Kostenlose Bücher