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Papierkrieg

Titel: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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Limit.
    Noch war alles leidlich sauber, aber in der Früh musste man durch
knöchelhohe Cocktails aus Körperflüssigkeiten waten. Überall würden Kondome
liegen, glitschig wie Bananenschalen, und so mancher hatte seine eigene
Version der uralten Slapsticknummer gebracht.
    Ich steuerte die Bar an, beugte mich über
den Tresen und fragte das blonde Bubi dahinter nach Bender. Ich biss auf
Granit, Babyface wollte mir nichts sagen. Als ich soweit war, ärgerlich zu
werden, legte sich mir eine schwere Hand auf die Schulter. Ich hatte mich
gerade auf das Schlimmste eingestellt, den Kampf eines in die Enge getriebenen
Katers gegen einen Dobermann, als mich ein breites Schwyzerdütsch aufatmen
ließ.
    Fred war einmal Fleischerlehrling gewesen, bis er herausfand, dass
man mit 202 Zentimetern Körpergröße als Preisboxer besser Geld verdienen kann.
Die harte Schule kam ihm zugute, als er sich nach einem Beruf mit weniger Risiko
umschaute und Rausschmeißer im Klublokal der Hells Angels in Zürich wurde. Nun
war er Ende 40, immer noch gebaut wie ein junger Muhammad Ali und der einzige
Mensch, den ich kannte, der nahezu alle Länder der Welt bereist hatte, um in
jedem Land eine Nummer zu schieben.
    In langen Nächten an der Bar hatte er mir ein paar der Geschichten
erzählt, persönlich fand ich die am besten, in der ein Saudi-Prinz und ein
Privatpuff in Er Ryad vorkamen.
    »Goht scho in Ordnung, Karli, er ischn Fründ
vom Chef. Mach üs zwo Sauer und bring’s ins Eck.« Ohne seine Hand, in die
locker ein kleiner Sattelschlepper gepasst hätte, von meiner Schulter zu
nehmen, führte er mich in eine der dunklen Ecken.
    »Lass die aluaga, lang isch her. Was treibsch all a so?« Nachdem
ich ihm meine momentanen Lebensumstände geschildert hatte, kamen die Drinks.
    »Karli, mach a Sound a, muss
üs niamad zualosa.« Karli nickte und verschwand,
worauf Musik aus den Boxen quoll. Fred hob das Glas und wir tranken. Die
Whiskey Sour waren stark und die Eiswürfel klirrten.
    »Mir sind a klele nervös momentan, die Kiberei will üs was ahänga.
Aber seg, warum bisch do, bruchsch was?«
    »Sag, Fred, Slupetzky, sagt dir der Name was?«
    »Wegat dem Arschloch homma ’s Gfrett. Zerscht zockt er ’n Boss ab
und denn lot er sich verschüaßa, der Trottel. Jetzt mana die Kiberer, dass mir
dahinter stecken!«
    »Was weißt du außerdem von ihm?«
    »Des söll dir dr Chef sega, der ka des bessr.«
    Wir machten unsere Gläser leer, schwelgten noch ein bisschen in
Erinnerungen an die gute alte Zeit, dann standen wir auf und Fred brachte mich
ins Büro vom alten Bender.
    Mittlerweile war mehr los im Klub und in den hinteren Zimmern
wurde sicher schon gespielt. Babyface hatte Verstärkung hinter der Bar
bekommen, die er auch dringend nötig hatte. Die Mädchen schwirrten wie die
Bienen um die Tische und an einer der Stangen wurde getanzt. Rundherum saßen
ein paar der Anzugträger, alle im Stil der Wallstreetbroker der 90er gekleidet,
und winkten mit Fünfzigern.
    Wir gingen an der Bar vorbei nach hinten. Fred holte einen
Schlüssel heraus und sperrte eine Tür auf, hinter der ein langer Gang zum Büro
des Alten führte. Dort klopfte er servil, öffnete die Tür, spähte vorsichtig
hinein und winkte mich daraufhin ebenfalls in das Zimmer.
    Bender hatte sich in den letzten fünf Jahren nicht verändert. Er
musste jetzt knappe 80 sein und sah damals wie heute aus, als ob er die 100
lange hinter sich hätte. Sein dünnes graues Haar lag eng an seinem mit
Altersflecken übersäten Totenschädel. Die Augen lagen so tief in den Höhlen, dass
nur ganz hinten ein leichtes Schimmern wahrzunehmen war. Seine
bleistiftstrichdünnen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als er mich
erkannte.
    Ich ging auf den Schreibtisch zu und wir schüttelten uns die
Hände. Seine waren kalt und unwillkürlich hatte ich Furcht davor, ihm mit
meiner Berührung die Haut von den Händen zu ziehen, so lose schien sie auf den
Knochen zu sitzen.
    »Setz dich, Kleiner. Schön, dich zu sehen. Was führt dich zu mir?«
    Seine Stimme klang rau, immer wieder musste er sich für längere
Pausen im Satz unterbrechen, um Luft zu holen. Das war neu. Vertraut hingegen
war seine Sprache. Bender artikulierte klar wie ein Burgschauspieler, nur am
Ende der Sätze, wenn ihm die Luft auszugehen drohte, verschluckte er ab und zu
eine Silbe. Seine Sprache schien sich direkt aus dem Wien der
Zwischenkriegszeit herübergerettet zu haben.

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