Papierkrieg
zurück.
»Du glaubst also wirklich, dass es nicht das Mädchen war?«
»Nein, außerdem hatte Slupetzky alle drei Kugeln im Brustkorb.
Wenn die Kleine nicht einen Knarrenfetisch hat, hätt sie das nicht mal nüchtern
auf einer Zielscheibe hingekriegt. Aber das muss der Paps ja nicht wissen. Wenn
er ein Fünkchen Angst hat, zahlt er umso besser.«
»Mhm«, Mike nahm noch einen Schluck, »und warum tust du dir das
an?«
»Weil ich pleite bin.«
»Du hast doch Eltern, oder nicht?«
»Mit Armut, Erniedrigung und Verachtung lernt man im Laufe der
Jahre umzugehen, Angst kennt man keine mehr, weil ein Leben, in dem sich ein
gebrochener Finger als Ende der Existenz herausstellen kann, überleben nur die
Härtesten. Diejenigen, die keine Nerven haben. Die Schwächlinge sterben gleich
im ersten Semester, wenn sie sich aus Angst vor der Zugluft die Türen ihrer
Wohnungen nicht zu öffnen getrauen und jämmerlich vor ihren Folianten mit
antiken Komödien verhungern. Wie unser Berühmtester sagte: Was uns nicht
umbringt, macht uns härter.«
In diesem Moment begannen Zep den Blues von ›I can’t quit you,
Baby‹ und ich ließ die Schwermut wirken.
»Womit man aber nicht umzugehen lernt, ist die eigene Mutter. Die
Angst vor einem Anruf, der Frage, ob man denn nun endlich einen Job habe, ob es
im Leben eine Frau gäbe und dergleichen mehr. Einen guten Freund hab ich
verloren, als seine Mutter dem Mittdreißiger zu Weihnachten ein Fahrrad geschenkt
hat. Die Demütigung überlebt nicht einmal ein Sprachgelehrter. Im März hat ihn
der Lungenkrebs geholt – gestorben ist er aber an der Schmach und nicht an
zwei Schachteln filterloser Gitanes, wie uns die Gesundheitsministerin glauben
machen will.«
»Und was hast du jetzt vor?«
»Ich werd zum Bender schauen, was der zum Slupetzky sagt.«
»Soll ich dich runterfahren? Mit den Öffis brauchst du eine halbe
Ewigkeit dorthin, der sitzt doch mittlerweile in Simmering unten.«
Ich wollte gerade antworten, als uns ein hartes Klopfen aus der
Konversation riss.
Auf dem Gehsteig stand eine Oma mit Einkaufswagen und schwang
ihren Spazierstock wie eine Keule. Mike lächelte, machte die Musik aus und
öffnete das Fenster. Die Oma schimpfte wie ein Rohrspatz, Mike lachte auf und
startete den Motor. Dann rasten wir mit quietschenden Reifen die Wohnstraße
entlang. Die schimpfende Oma mit dem Krückstock in der Hand wurde rasch
kleiner.
VIII
Mit der weißen Kirche, dem Amthaus für den XI. Bezirk und
den begrünten Wohnanlagen wirkte Simmering, wo Bender zu dieser Zeit seinen
Nachtklub unterhielt, am Enkplatz fast wie eine niederösterreichische
Kleinstadt. Vom Enkplatz zweigte die Dittmanngasse ab, dort waren ein paar
Wohnhäuser, ein verwilderter Garten mit einer roten Backsteinmauer und eben am
toten Ende der Gasse Benders Nachtklub.
Mike ließ mich am Enkplatz aussteigen, die letzten paar Meter ging
ich zu Fuß. Es war jetzt gegen sechs Uhr und eigentlich müsste der Laden
geöffnet haben. Ich klopfte, ein Schiebefenster in der Tür ging auf, ich wurde
beäugt und eingelassen. Es hat durchaus seine Vorzüge, wenn man Anzug und
Krawatte trägt.
Drinnen sah es aus wie in dem Lokal früher im Dritten. Eine Bar
mit Spiegelwand und Flaschenbatterien. Im Raum verstreut ein paar gepolsterte
Sitzgelegenheiten, etliche davon in dunklen Ecken. Zwei Stangen waren auch zu
sehen, aber es tanzten noch keine Mädchen. Ein paar Gäste saßen allein und
versuchten, sich mit Drinks für den Abend in Stimmung zu bringen. Die Klientel
schien noch immer die gleiche wie früher zu sein. Spielwütige Chinesen, die mit
2 und 7 vor dem Flop All-In gehen und dafür 80 Stunden pro Woche arbeiten.
Türken in Glanzplastik-Trainingsanzügen in Pink und Grün, mit Goldkettchen und
Springmessern in der Tasche. Gegelte Yuppies in Armani oder Versace, die den
Sekt mit Fünfhundertern zahlen und Kokshaufen auf den Spiegeltischen vor sich
offen liegen haben. Man sieht echte Diamanten neben gefaketen
Adidas-Trainingshosen sitzen, riecht einen Duft von Edmond Roudnitska neben dem
vom Dönerstand am Enkplatz.
Eigentlich ist Glückspiel in Österreich für Private legal, seit
einer Novelle in den 90ern auch Poker und Black Jack, aber eine gewisse
Klientel, die entweder in den legalen Casinos Hausverbot hat oder das Flair des
Illegalen genießt, steht auf die Hinterzimmercasinos. Außerdem ist für jeden
ein guter Kredit zu haben und die Einsätze haben kein
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