Papierkuesse
Königl. Ungarischen Generalkonsulats verloren.« Damit war Pali Meller als staatenloser Jude der deutschen Justiz auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Die Anklage gegen Pali Meller wurde vom Generalstaatsanwalt beim Landgericht als Leiter der Anklagebehörde des Sondergerichts vor dem Sondergericht beim Landgericht Berlin erhoben. Die seit 1933 eingerichteten Sondergerichte waren in der Vorkriegszeit vor allem für die politisch eingestuften Straftaten zuständig, seit 1936 auch für Verstöße gegen das »Blutschutzgesetz«, die als »Rassenschande« bezeichnet wurden. Somit kam Pali Mellers Fall vor das Berliner Sondergericht seines Stadtbezirks Charlottenburg.
Angesichts der bevorstehenden Verhandlung am 3. August 1942 versuchte Pali seinen Sohn auf die kommenden Veränderungen eines eingeschränkten Briefverkehrs und die Möglichkeit einer dauerhaften Trennung vorzubereiten. Mit einer Reihe fordernder Mahnungen appellierte er an die brüderliche und männliche Verantwortungseines Erstgeborenen, während er für Franzi einen letztwilligen Maßnahmenkatalog für den Notfall erstellte.
Mit der Verurteilung durch ein Berliner Sondergericht zu sechs Jahren Zuchthaus wegen Urkundenfälschung und »Rassenschande« war die letzte Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit seinen Kindern zerstört. Das hohe Strafmaß entsprach der zunehmend verschärften Urteilspraxis der Sondergerichte. Grundsätzlich war nach § 2 des »Blutschutzgesetzes« vom 15. 9. 1935 »außerehelicher Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes verboten« und wurde nach § 5 Abs. 2 mit Gefängnis oder Zuchthaus bestraft. Die Strafbestimmung betraf allerdings nur männliche Straftäter, da die Gerichte zur Überführung auf die Zeugenaussagen der Frau angewiesen waren, die sich bei Straffreistellung nicht mehr auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen konnte. Das Strafmaß reichte von einem Jahr Gefängnis bis zu acht Jahren Zuchthaus, wobei jüdische Delinquenten meist härter bestraft wurden als deutsche. In einzelnen Fällen wurden auch Höchststrafen von bis zu 15 Jahren, Entmannung oder sogar die Todesstrafe verhängt. Insgesamt sind mehr als 2000 jüdische und nichtjüdische Männer im Dritten Reich als »Rassenschänder« verurteilt worden.
In dem verbleibenden Monat bis zu Palis Haftantritt im Zuchthaus Brandenburg-Görden gab es keinen weiteren Briefkontakt. Auch verschlechterten sich die Haftbedingungen zunehmend, was Pali in seinem letzten Brief aus Plötzensee kaum zu erkennen gab oder gebendurfte. Doch seine schwärmerische Beschäftigung mit dem architektonischen Entwurf des nach seinen Kindern benannten »Haus Pilabarra« in seiner Geburtsstadt Sopron zeugt von einer wachsenden Sehnsucht und Verzweiflung, die nicht zuletzt dem ständigen Hunger geschuldet war. Als mindestens so schlimm wie den Mangel an Nahrung erlebte Pali aber den Mangel an Briefen, der mit der Verlegung nach Brandenburg-Görden am 4. September verbunden war. In der modernen, für ihre schonungslose Zwangsarbeit berüchtigten Haftanstalt, wo Pali zehn Stunden am Tag in der Schneiderei arbeiten musste, durften die Gefangenen nur alle sechs Wochen Briefe schreiben und empfangen.
Die als Musteranstalt des Strafvollzugs der Weimarer Republik erbaute Strafanstalt Brandenburg-Görden galt als das modernste und sicherste Zuchthaus Europas. Zu den Insassen zählten kriminelle Straftäter, zum Tod Verurteilte, Sicherungsverwahrte, Untersuchungs- und Kriegsgefangene. Den größten Anteil bildeten jedoch die politischen Gefangenen, von denen zeitweise über die Hälfte wegen Hochverrats verhängte Strafen verbüßten. Seit 1940 war das Zuchthaus auch Hinrichtungsstätte, wo noch bis kurz vor Kriegsende insgesamt 2031 Personen hingerichtet worden sind.
Wie sehr die wöchentlichen Kinderbriefe zu seinem Lebenselixier geworden waren, wurde Pali umso schmerzlicher bewusst, als er nach dem 20. Oktober 1942 überhaupt keine Briefe mehr erhielt. Offenbar hatte Franzi vergeblich versucht, mit dem Hinweis auf die arische Mutter ihrer beiden Mündel die drohende Kündigungder Wohung abzuwenden (s. S. 98). In Hinblick auf das Mietverhältnis mit Juden, das in einem Gesetz vom 30. April 1939 geregelt war, wurden zunächst »nichtprivilegierte Ehepaare«, seit 1942/43 aber auch »privilegierte Ehepaare«, bei denen der Ehemann als Jude galt, zur Aufgabe ihrer Wohnungen gezwungen.
Das Leben in Berlin und der weitere Kontakt zu ihrem
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