Papierkuesse
einige Jahre älter waren als die Geschwister Meller. Pali freundete sich besonders mit der ältesten, gerade volljährigen Tochter Marlene an, über die er einige ihrer Klassenkameradinnen vom Westend-Lyzeum kennenlernte. Zu diesem Kreis »junger, schöner und fröhlicher Menschen« gehörte auch Rainer Hildebrandt, der Sohn seiner Stuttgarter Freunde Hans und Lily, der in Berlin an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Deutschen Hochschule für Politik studierte. Dort bildete sich ab 1939/40 ein reger Kreis oppositioneller Dozenten und Studenten, zu dem neben Harro Schulze-Boysen und Horst Heilmann, die Ende 1942 in Plötzensee erhängt wurden, auch Hildebrandts Professor Albrecht Haushofer gehörte, der noch 1945 von denNazis ermordet wurde. Der sogenannte Haushofer-Kreis, der den Attentätern vom 20. Juli nahestand, traf sich auch in Pali Mellers Wohnung, wo man ausländische Radiosender hörte und über die politische Lage diskutierte. Für Rainer Hildebrandt war der zwölf Jahre ältere Pali nicht nur die »Seele vieler Zusammenkünfte von Studenten und Haushoferschülern«, sondern auch eine Art Mentor geworden. In seinen regelmäßigen Briefen über die Entwicklung und Fortschritte ihres Sohnes schrieb Pali im Sommer 1941 voller Euphorie an die besorgte Lily Hildebrandt nach Stuttgart:
In den letzten 6 Tagen war ich mit Rainer 6 x zusammen und treffe ihn heute wieder. Er wird Ihnen sicher schreiben, er ist gesund und recht fleißig in seiner Doktorarbeit. Überhaupt der Rainer! Ich muss mich hüten, nicht in Superlative zu verfallen, wenn ich über ihn schreibe, denn was er in diesen Tagen alles für mich tat, hat noch kein Freund, kein Bruder, keine Mutter je für mich getan. Mit bewundernswerter Klarheit und Konsequenz arbeitete er daran schon seit langem mich aus einer höchst verfahrenen und auf die Dauer tötenden Liaison mit Frau Edith (Edith Gruber) herauszumanövrieren und brachte mich, als das Schiff bereits im Sinken war, unter Menschen, die jung, schön und fröhlich waren. Ich griff in diesem Zustand nach einer rettenden Planke – und siehe da; es war keine Planke, es war ein neues Schiff voller Wunder, voller Zauber und Musik. Schiff und Hafen zugleich.
Doch das Schiff sollte bald Schiffbruch erleiden und statt in den sicheren Hafen in die todbringende Haft führen. Denn Palis letzte Liebe galt der Tochter eines überzeugten Nationalsozialisten.
Uschi Milaz (?) war eine Mitschülerin von Marlene Poelzigund eng befreundet mit der Schauspielerin Bettina Moissi, die noch kaum volljährig in kurzer Ehe mit dem bekannten Feuilletonchef des Berliner Tageblatts, Fred Hildenbrandt, verheiratet war. Die beiden jungen Frauen gingen in der Knobelsdorffstraße ein und aus, aßen mit Vorliebe rohe Peperoni und vergnügten sich mit dem geistreichen und warmherzigen Pali. Vermutlich stieß diese Verbindung bei Uschis Eltern jedoch schon wegen des großen Altersunterschiedes auf Ablehnung, so dass Pali kurz vor seiner Verhaftung am 4. Februar 1942 an Hans Hildebrandt schrieb:
Außerdem ist mein »Lebensglück«, das durch ein geliebtes Mädchen verkörpert war auf grauenhafte Art durch die Eltern des Mädchens zerstört worden, und auf ein lückenloses Glück von einem halben Jahr ist das Jahr 1942 gefolgt, das in seiner aussichtslosen Trostlosigkeit mir alle Kraft des Handelns nahm.
Welcher Art die Intervention der Eltern auch immer gewesen sein mag, legt sie in jedem Fall einen Zusammenhang mit Palis Festnahme am 23. Februar 1942 nahe. Voller Empörung und Sorge berichtete Rainer Hildebrandt an seine Eltern in Stuttgart:
Milaz hat es fertig gebracht, den Pali ins Gefängnis [zu bringen]. Wir wissen nicht wo u. was u. überhaupt warum. Nun war auch Haussuchung bei ihm und man wurde auch auf uns aufmerksam. Wir sind alle sehr in Sorge, aber vor allem um Pali, dass man ihm nichts tut, worauf einige Anzeichen hindeuten.
Ob und inwiefern durch Palis Verhaftung bereits die Freunde des Haushofer-Kreises und der Roten Kapelle ins Blickfeld der Gestapo gerieten, lässt sich nicht klären. Offenbar gab es aber Anlass zur Sorge nicht nur um Pali Meller.
Für Palis Familie und Freunde kam die Verhaftung völlig überraschend. Selbst den engsten Freunden war seine jüdische Abstammung offenbar nicht bekannt, so dass Rainer Hildebrandt, dessen Mutter selbst ihre jüdische Abstammung zu verschleiern suchte, nun mit größerer Vorsicht ohne Namensnennung an seine Eltern schrieb:
Genaues was vorliegt in Sachen
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