Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
Vom Netzwerk:
Augen mit einer Lampe, die einen ganz engen Lichtstrahl wirft.
    »Du hast nichts von dem gesehen, was du zu entdecken glaubtest, nicht wahr, Toubib? Dein Licht ist nicht stark genug. Trotzdem glaube ich, daß du es weißt… Sag mal, hast du sie gesehen?«
    »Was? Wen?« sagt der Arzt. »Stell dich nicht dumm, bist du ein Arzt oder ein Viehdoktor? Du wirst mir doch nicht einreden wollen, daß du keine Zeit gehabt hast, sie zu sehen, bevor sie sich versteckten. Oder du willst es mir nicht sagen. Oder du hältst mich für blöd.«
    Die Augen brennen mir vor Müdigkeit. Mein Aussehen, unrasiert und nicht gewaschen, kommt mir zugute.
    Die Aufseher hören zu und erstarren. Ich mache keine heftige Bewegung, die ihr Eingreifen herausfordern könnte. Liebenswürdig und auf mein Spiel eingehend, um mich nicht aufzuregen, erhebt sich der Arzt und legt mir die Hand auf die Schulter. Ich bleibe sitzen.
    »Weißt du, ich wollte es dir nicht sagen, Papillon, aber ich hatte Zeit, sie zu sehen.«
    »Du lügst, Toubib! Du lügst mit der Kaltschnäuzigkeit eines Kolonialschweins. Denn du hast überhaupt nichts gesehen! Ich dachte, du suchst die drei schwarzen Punkte in meinem linken Aug’. Ich sehe sie nur, wenn ich ins Leere gucke oder wenn ich lese. Wenn ich einen Spiegel nehme, dann sehe ich mein Auge ganz klar und keine Spur von den drei Punkten. Sie verstecken sich sofort, wenn ich nach dem Spiegel greife, um sie anzublicken.«
    »Bringt ihn ins Spital«, sagt der Arzt ruhig. »Bringt ihn sofort hin, ohne ins Lager zurückzukehren. Papillon, du sagst mir, du bist nicht krank? Das mag richtig sein, aber ich finde dich etwas müde, daher werde ich dich für ein paar Tage ins Spital legen, damit du dich ausruhst. Ist dir das recht?«
    »Es ist mir egal.«
    Der erste Schritt ist getan. Ich befinde mich im Spital. Die Zelle ist hell, das Bett sauber, weiß bezogen. Über der Tür eine Tafel: »Unter Beobachtung«. Allmählich verwandle ich mich in einen Geisteskranken. Es ist ein gefährliches Spiel. Gewisse Dinge suggeriere ich mir so stark, daß ich sie sogar dann mache, wenn ich es gar nicht will. Zum Beispiel verziehe ich den Mund und nehme die Unterlippe zwischen die Zähne, ein Tick, den ich vor einem kleinen Spiegelscherben gut einstudiert habe, und ich ertappe mich dabei, daß er schon unbewußt funktioniert. Lang darfst du dich so nicht herumspielen, lieber Papi. Unter dem Zwang, daß du den Verlust deines geistigen Gleichgewichts vortäuschen willst, kann das verdammt gefährlich werden und tatsächlich Spuren hinterlassen, die nicht mehr verschwinden. Trotzdem muß ich das Spiel durchhalten, wenn ich mein Ziel erreichen will: ins Asyl kommen, für unzurechnungsfähig erklärt werden, und dann mit meinem Kumpel flüchten. Die Flucht! Dieses magische Wort beflügelt mich, und ich sehe mich schon auf den beiden Fässern sitzen und zusammen mit dem italienischen Sanitäter das Festland erreichen. Jeden Tag kommt der Arzt bei mir vorbei. Er untersucht mich lange, und immer sprechen wir sehr höflich und freundlich miteinander. Er ist bestürzt, der Bursch, aber noch nicht ganz überzeugt. Ich muß ihm daher beibringen, daß ich Stechen im Genick habe. Das erste ernstere Symptom.
    »geht’s, Papillon? Gut geschlafen?«
    »Danke, Herr Doktor, es geht so einigermaßen. Danke auch für das ›Paris Match‹, das Sie mir geborgt haben. Mit dem Schlafen ist das so eine Sache, denn hinter meiner Zelle ist eine Pumpe, die, wofür weiß ich nicht, dauernd bewegt wird, denn der Pumpenschwengel macht die ganze Nacht ,pum, pum, pum, und das geht mir bis ins Genick. Ich möchte fast sagen, Doktor, daß ich tief in mir drin ein Echo höre: ,pum, pum, pum. Und so geht das die ganze Nacht. Es ist fast unerträglich. Ich wäre Ihnen daher sehr dankbar, wenn Sie mir eine andere Zelle geben würden.«
    Der Toubib wendet sich zum Krankenaufseher und fragt schnell: »Geht hier irgendwo eine Pumpe?«
    Der Krankenaufseher schüttelt den Kopf.
    »Geben Sie ihn in eine andere Zelle. Wohin willst du?«
    »So weit wie möglich weg von dieser verdammten Pumpe. Ans Ende des Ganges. Ich danke Ihnen, Herr Doktor.« , Die Tür wird geschlossen, und ich bin wieder allein. Ein kaum merkliches Geräusch läßt mich aufhorchen – man beobachtet mich durch das Guckloch. Es ist bestimmt der Arzt, denn ich habe nicht gehört, daß sich die Schritte entfernten, als sie die Zelle verließen. Daraufhin bin ich schnell zur Mauer gegangen, hinter der sich die

Weitere Kostenlose Bücher