Papillon
vorgeschlagen, um mir die Zwangsjacke zu ersparen.
»Papi, hast du gut gegessen?«
»Ja, Chatal, recht gut.«
»Willst du mit mir und Herrn Jeannus mitkommen?«
,
»Wohin geht’s?«
»Wir tragen Medikamente ins Asyl hinauf, das ist für dich ein kleiner Spaziergang.«
»Gut, gehen wir.«
Und wir verlassen zu dritt das Spital, nehmen den Weg zum Asyl. Chatal spricht kein Wort. Nur kurz bevor wir ankommen, sagt er: »Hast du das Lager nicht recht satt, Papillon?«
»Oh, und wie! Ich hab’s bis dahin! Vor allem, seitdem mein Freund Carbonieri nicht mehr ist.«
»Warum willst du nicht ein paar Tage im Asyl bleiben? Da wird dich der Bursche mit dem Apparat, der dir immer einen elektrischen Schlag versetzt, vielleicht nicht finden.«
»Gute Idee«, sage ich. »Aber glaubst du, daß sie mich hier aufnehmen werden? Wo ich doch nicht geisteskrank bin?«
»Laß mich nur machen. Ich werde ein gutes Wort für dich einlegen«, sagt der Aufseher, ganz glücklich, daß ich Chatal »in die Falle« gegangen bin.
Kurz, ich befinde mich nun zusammen mit ungefähr hundert Geisteskranken im Asyl. Das ist kein Honiglecken! In Gruppen zu dreißig und vierzig schnappt man Luft im Hof, während die Pfleger unterdessen die Zellen reinigen. Jedermann ist vollkommen nackt, Tag und Nacht, glücklicherweise ist es warm. Mir hat man die Schuhe gelassen.
Eben habe ich von einem Sanitäter eine angezündete Zigarette bekommen. In der Sonne sitzend, geht mir der Gedanke durch den Kopf, daß ich nun schon fünf Tage hier bin und noch immer keine Gelegenheit hatte, mit Salvidia Verbindung aufzunehmen.
Ein Verrückter kommt auf mich zu. Ich kenne seine Geschichte. Er heißt Fouchet. Seine Mutter hatte ihr Haus verkauft, um ihm durch einen Aufseher fünfzehntausend Franc zu schicken, damit er flüchten könne.
Der Spürhund sollte fünftausend behalten und zehntausend ihm übergeben. Aber der Kerl hat alles unterschlagen und ist nach Cayenne abgehauen. Als Fouchet über einen anderen Kanal davon erfuhr, daß seine Mutter ihm einen solchen Haufen Zaster geschickt und ganz unnütz ihre letzte Habe verloren hatte, wurde er vor Wut wahnsinnig und ist noch am selben Tag auf zwei Aufseher losgegangen. Er wurde überwältigt, so daß er keinen Schaden anrichtete. Seit jenem Tag, es ist schon drei oder vier Jahre her, ist er verrückt.
»Wer bist du?«
Ich blicke den armen Kerl, der sich da vor mir aufgepflanzt hat und mich das fragt, an. Jung ist er, um die Dreißig.
»Wer ich bin? Ein Mann wie du, nicht mehr, nicht weniger.«
»Blöde Antwort. Ich sehe doch, daß du ein Mann bist, denn du hast einen Bimmel-Bammel und zwei Glocken dran. Wärst du eine Frau, hättest du ein Loch. Ich frage dich,
wer
du bist? Das heißt, wie du dich nennst?«
»Papillon.«
»Papillon? Du und Schmetterling Nackt und bloß? Ein Schmetterling fliegt und hat Flügel. Wo sind denn deine?«
»Ich hab sie verloren.«
»Mußt sie finden, dann kannst du flüchten. Die Aufpasserhunde haben keine Flügel. Du kannst sie hineinlegen. Gib mir deine Zigarette.«
Bevor ich noch Zeit habe, sie ihm zu reichen, reißt er sie mir schon aus den Fingern. Dann setzt er sich mir gegenüber und raucht genußvoll.
»Und du, wer bist du?« frage ich ihn.
»Ich, ich bin der Fasan. Jedesmal wenn man mir was geben muß, was mir gehört, legt man mich herein.«
»Warum?«
»Das ist so. Darum töte ich so viele wie möglich von den Spionen. Heute nacht habe ich-zwei aufgehängt.
Aber sag keinem was davon.«
»Warum hast du sie aufgehängt?«
»Sie wollten das Haus meiner Mutter stehlen. Stell dir vor, meine Mutter hat mir ihr Haus geschickt, und sie, weil sie es hübsch fanden, sie haben es behalten und leben darin. Diese Gammler! Es war doch richtig, daß ich sie aufgehängt habe, oder nicht?«
»Sehr richtig war das. So werden sie keinen Nutzen haben von dem Haus deiner Mutter.«
»Der große Gammler, dort drüben hinterm Gitter, siehst du ihn? Der wohnt auch in dem Haus. Den werde ich auch zusammenschießen, kannst mir’s glauben.« Und er erhebt sich und geht weg.
Uff! Es ist nicht lustig, mitten unter Verrückten leben zu müssen, und gefährlich obendrein. In der Nacht schreit es von allen Seiten, und bei Vollmond sind die Narren noch aufgeregter. Warum hat der Mond solchen Einfluß auf das Verhalten der Geisteskranken? Ich kann es mir nicht erklären, aber ich habe es oft genug festgestellt.
Die Aufseher machen Berichte über die Kranken, die unter Beobachtung stehen.
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