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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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Schiefe in die absurde Lage, daß alle Sträflinge und Zwangsarbeiter, die ihn von früher gekannt hatten, nicht glauben wollten, daß er plötzlich auf so seltsame Weise aufgehört hatte, der Schiefe, das Drehbein zu sein.
    1943 von neuem aus dem französischen Bagno geflüchtet, strandete er also in El Dorado. Da er in Venezuela gelebt und sicherlich nicht angegeben hatte, daß er immer schon Gefangener gewesen war, wurde er sofort als Koch eingesetzt, an Stelle von Chapar, der zur Gartenarbeit überwechselte. Er war beim Direktor im Dorf, also am andern Ufer des Flusses.
    Im Amtsraum des Direktors befand sich eine eiserne Kasse mit dem Geld der Kolonie. An jenem Tag also stiehlt er sechzigtausend Bolivar, was damals ungefähr dem Wert von zwanzigtausend Dollar entsprach.
    Und so kam es nun zu diesem Riesenkrach in unserem Garten. Der Direktor, der Schwager des Direktors und zwei Majore vom Wachkommando sind da. Der Direktor will uns wieder ins Lager stecken. Die Offiziere weigern sich. Sie verteidigen sowohl uns wie ihre Versorgung mit frischem Gemüse. Schließlich gelingt es, den Direktor davon zu überzeugen, daß wir keine Auskunft geben können, denn wenn wir etwas von der Sache gewußt hätten, wären wir doch mit dem Drehbein mitgegangen. Wir aber haben die Absicht, uns in Venezuela frei niederzulassen, nicht in Britisch-Guayana, dem einzigen Gebiet, wohin er geflohen sein konnte. Von den Aasgeiern, die ihn zerfleischten, hingeschleppt, fand man den Schiefen sechzig Kilometer vom Lager entfernt tot im Busch unweit der britischen Grenze.
    Die erste Annahme und die bequemste war, daß die Indianer ihn umgebracht hätten. Ziemlich viel später wurde ein Mann in Ciudad Bolivar verhaftet, der nagelneue Fünfhunderterscheine wechselte. Die Bank, die solche Scheine dem Direktor der Kolonie El Dorado vor einiger Zeit geliefert hatte, hatte die Seriennummern notiert und erkannte, daß es sich um einen Teil der gestohlenen Banknoten handelte. Der Mann gestand und bezichtigte auch zwei andere, die jedoch nie verhaftet wurden. Soviel über Leben und Sterben meines guten Freundes Gaston Duranton, des Schiefen.
    Heimlich haben einige Offiziere Gefangene zum Rio Caroni auf Gold- und Diamantensuche geschickt. Das Ergebnis: zwar keine Märchenschätze, aber doch genug, um zu weiterem Suchen zu ermuntern. Unterhalb meines Gartens arbeiten zwei Männer den ganzen Tag mit dem »Filter«, einem umgekehrten chinesischen Hut, die Spitze nach unten, die Krempe nach oben. Sie füllen ihn mit Erde und waschen sie. Da der Diamant schwerer als alles andere ist, bleibt er in der Spitze des Hutes liegen. Einen Toten hat es schon gegeben. Er hat seinen »Boß« bestohlen. Dieser kleine Skandal führte zur Schließung der »Mine«.
    Im Lager gibt es einen Mann mit einem vollständig tätowierten Oberkörper. Hinten auf seinem Hals steht geschrieben: »Scheiß auf den Henker«. Sein rechter Arm ist gelähmt. Sein schiefer Mund und eine große, oft heraushängende, triefende Zunge zeigen deutlich, daß er einen Gehirnschlag erlitten hat. Wo? Das weiß man nicht. Er war vor uns da. Wo kommt er her? … Eines ist sicher, daß er ein Sträfling oder ein geflüchteter Ausgewiesener ist. Auf seiner Brust ist »Bat d’Af« eintätowiert, »Bataillon d’Afriques«. Das und das »Scheiß auf den Henker« im Nacken zeigt, daß man gewiß nicht danebenrät, wenn man ihn für einen Schweren hält.
    Die Aufseher und die Gefangenen haben ihm den Spitznamen »Piccolino« gegeben. Er wird gut behandelt und erhält dreimal am Tag peinlich genau seine Essensration und seine Zigaretten. Seine blauen Augen sind intensiv und lebhaft, ihr Blick nicht immer traurig. Wenn er jemanden, den er gern mag, ansieht, glänzen seine Augen vor Freude. Er versteht alles, was man ihm sagt, aber er kann weder sprechen noch schreiben: sein gelähmter rechter Arm hindert ihn daran, und an der linken Hand fehlen ihm der Daumen und zwei Finger. Dieses Wrack klebt täglich zwei Stunden am Stacheldrahtzaun und wartet, daß ich mit dem Gemüse vorbeikomme, denn es ist der Weg, den ich immer zur Offiziersmesse nehme. Daher plaudere ich jeden Morgen, wenn ich mein Gemüse abliefern gehe, mit Piccolino. An den Stacheldraht gelehnt, blickt er mich aus seinen schönen blauen Augen an, Augen voll von Leben in einem halbtoten Körper. Ich sage ihm freundliche Worte, und er gibt mir mit seinem Gesicht oder seinen Augen zu verstehen, daß er meiner Rede folgen konnte. Sein armes,

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