Papillon
und deutlich.
»O nein! Das nicht! Verlang das nicht von mir! Diese Leute haben mich zu viel leiden lassen. Wie kannst Du wollen, daß ich diesen mistigen Polizisten, diesem falschen Zeugen Polain verzeihe? Ich soll darauf verzichten, diesem Untier von Staatsanwalt die Zunge herauszureißen? Das ist nicht möglich! Nein, nein und dreimal nein! Es tut mir leid, daß ich mich Dir widersetzen muß, aber auf meine Rache werde ich um keinen Preis verzichten!« Ich gehe aus meiner Gärtnerhütte hinaus, ich habe Angst, schwach zu werden. Ich will nicht klein beigeben. Ich mache einige Schritte in meinem Garten. Toto bindet die Kletterbohnen an, damit sie sich um die Stangen winden. Alle drei kommen auf mich zu, Toto, der Pariser mit den ewigen Hoffnungen der Allerarmseligsten aus der Rue de Lappe, dann Antartaglia, der diebische Spitzbub aus Korsika, der lange Jahre die Pariser um ihre Brieftaschen erleichterte, und Deplanque, der Mörder aus Dijon, der genauso einen Schnauzbart umgebracht hat, wie er selber einer ist. Sie schauen mich an, ihre Gesichter leuchten voll Freude, daß ich nun endlich frei bin. Bald ist es auch für sie soweit, bestimmt.
»Hast du nicht aus dem Dorf eine Flasche Wein oder Rum mitgebracht, damit wir deine Abreise feiern?«
»Entschuldigt, ich war so erregt, daß ich nicht einmal daran dachte. Verzeiht mir.«
»Macht nichts«, sagt Toto, »es sei dir verziehen. Ich koche uns allen einen guten Kaffee.«
»Du bist glücklich, Papi – was? –, daß du jetzt endlich und endgültig frei bist. Und wir sind glücklich mit dir.«
»Bald kommt auch ihr an die Reihe, hoffe ich.«
»Das ist schon sicher«, sagt Toto. »Der Hauptmann hat mir gesagt, daß alle vierzehn Tage einer von uns freikommt. Was wirst du tun, wenn du frei bist?«
Ich zögere ein, zwei Sekunden, dann habe ich trotz meiner Befürchtung, lächerlich zu erscheinen, den Mut zu folgender Antwort:
»Was ich machen werde? Sehr einfach: ich werde arbeiten und immer anständig sein. In dem Land, das mir Vertrauen schenkt, würde ich mich schämen, etwas Strafbares zu tun.«
Anstatt der erwarteten ironischen Bemerkungen bekennen sie sich zu meinem Erstaunen alle drei zum selben Vorsatz.
»Auch ich habe beschlossen«, sagt jeder, »anständig zu leben. Du hast recht, Papillon, es wird hart sein, aber es lohnt die Mühe.«
Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Toto, dieser Erzgauner aus den hintersten Gründen der Bastille, hat solche Gedanken? Kaum zu fassen! Antartaglia, der sein Lebtag vom Taschendiebstahl gelebt hat, reagiert so? Das ist wunderbar. Und daß Deplanque, dieser professionelle Zuhälter, in seine Zukunftspläne nicht einmal den
Gedanken
einbezieht, eine Frau für sich arbeiten zu lassen, das ist für mich das erstaunlichste. Wir brechen alle miteinander in Lachen aus.
»Das ist wirklich Goldes wert«, sagen sie, »wenn du das morgen am Montmartre auf der Place Blanche erzählst, lacht dich jeder aus, kein Mensch nimmt dir das ab!«
»Männer wie wir – die schon! Die verstehen das. Und die anderen, die so etwas nicht für möglich halten, sind eben verbohrt. Die große Mehrheit der Franzosen will nicht wahrhaben, daß ein Mann mit einer solchen Vergangenheit wie wir in jeder Hinsicht wieder ein anständiger Kerl werden kann. Das ist ja der Unterschied zwischen dem venezolanischen und unserem Volk. Ich habe euch von dem Mann in Irapa erzählt, nur ein armer Fischer, und doch hat er dem Polizeipräfekten auseinandergesetzt, daß ein Mensch nie verloren ist und daß man ihm eine Chance geben muß, um ihm zu helfen, ein ehrliches Leben zu beginnen. Diese Halbanalphabeten am Golf von Paria, am Ende der Welt, verloren im Watt dieser unermeßlichen Orinokomündung, haben eine Humanitätsphilosophie sag ich euch…! Bei uns – zuviel technischer Fortschritt, zuviel Lebensgenuß und nur
ein
Ideal: neue technische Erfindungen, immer leichteres, immer besseres Leben. Jede neue wissenschaftliche Entdeckung wird ausgekostet, wie man Fruchteis leckt, und sie werden daraufhin ebenso durstig – nach noch größerem Komfort, dem Ziel aller Anstrengungen. Das tötet die Seele und das Mitgefühl, das Verständnis für andere.
Man findet keine Zeit mehr, sich um die andern zu kümmern, schon gar nicht um die alten Sträflinge. Und selbst die Behörden in diesem Nest sind anders als bei uns. Sie sind doch auch nur verantwortlich für die öffentliche Ruhe, sonst nichts – und trotzdem denken sie, daß es die Mühe lohnt,
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