Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
meinte der Polizist gedehnt.
„Sie können mir den Bericht mitgeben, ich mache bei mir im Büro eine Kopie und schicke Ihnen das Original zurück“, schlug Vincent vor.
„Das geht nicht, ich kann den Bericht nicht herausgeben, das ist gegen die Vorschrift.“
„Es wird niemandem auffallen, übermorgen haben Sie das Original wieder“, meinte Vincent. Er versuchte es nochmals mit dem direkten Blick.
Aber diesmal hielt Ruiz stand.
„Das geht nicht“, beharrte er. „Lesen Sie meinetwegen jetzt“, und er reichte ihm die Blätter.
Vincent seufzte.
„Kann ich mir ein Exemplar abtippen?“ fragte er konsterniert.
„Meinetwegen“, meinte Ruiz und führte ihn in ein staubiges Büro, in dem zwei Frauen an ihren Tischen sassen und ein junger Mann ans Fenster gelehnt stand. Sie sprachen laut und lachten.
„Der Herr Thal braucht eine Schreibmaschine, wo kann er sich denn hinsetzen?“, rief Ruiz, ohne sich auf die Konversation zu achten, welche die drei unterhielten.
Vincent grüsste stumm nickend in die Runde und der junge Polizist verliess an ihnen vorbei den Raum, während er der jüngeren der beiden Frauen über die Schulter zuzwinkerte.
„Oh, hier, setzen Sie sich hier hin“, sagte die ältere der beiden Frauen und erhob sich. „Ich muss etwas einordnen, das kann ich genauso gut hier drüben machen.“
„Danke, Señora“, sagte Vincent und setzte sich mit seinem Bericht an die Schreibmaschine. Er blickte auf ein Wirtschaftsstudium und eine fundierte Ausbildung zum humanitären Helfer zurück, um hier eine Schreibmaschine zu notbeatmen.
Ruiz verliess den Raum, nachdem er sich versichert hatte, dass Vincent das Original umgehend zurückbringe, wenn er fertig sei und Vincent schickte sich an, dem Schreibgerät ein Blatt zu füttern.
„Warten Sie, das Ding ist biestig, ich helfe Ihnen“, kam ihm die Frau zuvor und legte mit ein paar geschickten Handgriffen das Blatt ein, ohne ihm den geringsten Knick zuzufügen. Dann lachte sie ihn an: „Sie sind vom Roten Ring, oder?“
„Ja, das ist richtig“, sagte Vincent in seinem rauen Spanisch. Je länger er hier war, umso stärker fiel ihm das kehlige Timbre seiner Redeweise auf.
„Dann machen Sie also Ordnung bei uns?“ fragte nun die jüngere der beiden Frauen in lauerndem Ton.
„Ich weiss nicht, ob mir das gelingt“, sagte Vincent und bereute im nächsten Augenblick seine Worte.
„Achja? Dann ist, wo Sie herkommen Ordnung und bei uns das Chaos?“ fragte sie weiter und ihre Augen blitzten auf.
„Das wollte ich nicht sagen, aber die Probleme, die wir jetzt haben, hat die Stadt nicht selbst verschuldet. Deswegen bin ich hier“, versuchte sich Vincent aus der Affäre zu ziehen und konzentrierte sich auf das Tippen des Berichts. Es verursachte einen ernst zu nehmenden Lärm, nicht zu vergleichen der lautlosen Tastatur, der er gewohnt war. Er fühlte immer noch den Blick der jungen Polizeisekretärin auf sich ruhen, wusste ohne es zu sehen, dass sie intensiv atmete, dass ihr Blut schneller lief und dass er ihren Hass allein deshalb auf sich ziehen zu vermochte, weil er einer Gruppe von Menschen angehörte, die davon ausgingen, dass Paraguay Hilfe brauche. War es so wahnwitzig, einem Land zu Hilfe zu kommen, dessen Bedrängnis von mangelnder Hygiene über Hunger zur Schattenwirtschaft mit allen ihren Folgen reichte? War Stolz denn mehr wert als das Elend in den Häusern und den Strassen?
„Sie kommen hier her und glauben, Sie wissen alles besser, machen Vorschriften, reden rum und bringen überhaupt nichts. Es wäre besser, Sie würden bleiben, wo Sie hergekommen sind“, sprach die junge Frau weiter. „Den Mut, in die Schlägerei einzugreifen, als richtig was los war, hätten Sie sowieso nicht gehabt!“
„Luz! Ich bitte dich, lass das doch!“ rief die ältere der Frauen mit gedämpfter Stimme aus.
„Sie wissen doch gar nicht, was los war und kennen die Probleme nicht, die die Leute in La Chacarita haben“, beharrte Luz.
„Das möchte ich ja gerne herausfinden“, antwortete Vincent.
„Sie haben hier den Bericht, so dass Sie sich informieren können“, warf die ältere Frau verbindlich ein.
„Sie wissen nichts!“ stiess Luz hervor.
Vincent hatte den Kopf gehoben und sah die junge Frau zum ersten Mal direkt an. Ihre Gesichtszüge waren von indigener Prägung und ihr schweres blauschwarzes Haar umrahmte ihr Antlitz wie üppiges Laub. Die Wangenknochen waren so hoch, dass sie herb hervortraten und die schmalen Augen hatte sie
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