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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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mitzukommen.
    »Das kannst du dem Herrn Direktor selber erzählen«, sagt sie schadenfroh. Ich bin entsetzt, dass ich wegen solch einer Lappalie gleich zum Direktor muss. Diese Ratten, denke ich. Ich verachte sie alle. Langsam bewege ich mich auf die Suchánková zu. Dann schießt mir durch den Kopf, dass sie etwas im Schilde führt.
    »Wie stellst du dir das vor? Glaubst du, dass wir hier im Zirkus sind? Das wirst du uns noch erklären müssen, mein Täubchen.«
    »Und wieso soll ich zum Herrn Direktor, Frau Suchánková?«
    »Das weiß ich nicht. Und schweig jetzt, ich möchte nicht mehr mit dir debattieren.«
    Das klingt nicht gut. Da steckt was anderes dahinter. Ich überlege, was ich in den letzten Tagen alles falsch gemacht haben könnte. Stand ich nicht am Grab des sozialistischen Freiheitskämpfers? Letzte Woche? Stundenlang? In meiner Polyesteruniform? Wie es Woche für Woche üblich ist? Und wie ich dastand. Wie eine Salzsäule.
    »Freiheitskämpfer«, das klingt ehrenhaft. Parteigenossensesselpupser würde eher passen.
    Oder hat man mich beim Feixen mit Drobina beobachtet, während der gähnend langweiligen Rede des Direktors? Nein, kann nicht sein. Drobi war letzte Woche krank.
    Ich habe mir vorbildlich das Gesülze angehört, das ich längst auswendig kann. Die stinklangweiligen Demonstrationen habe ich auch nicht verpasst, die künstlich am Leben erhalten werden müssen und auf denen wir Parolen gegen den Kapitalismus und für irgendeinen Parteigenossensesselpupser ausrufen und dabei die sowjetische Fahne in der Hand halten müssen. Oder habe ich etwa während des Trauermarsches nicht laut genug gerufen: »Nieder mit dem Kapitalismus, es lebe Lenin?« Doch. Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Warum soll ich zum Direktor?!
    Die Sekretärin, eine nette Blondine, lässt mich in sein Büro. Niemand ist da, nur ein Schülerstuhl, der vor seinem monumentalen Schreibtisch steht. Dahinter an der Wand hängen die obligatorischen Porträts von Lenin, Marx und Husák. Ich setze mich auf den Stuhl. Warte. Regungslos sitze ich eine halbe Stunde da. Zu gerne würde ich in die Unterlagen auf dem Schreibtisch gucken. Trau mich aber nicht. Ich wette, er käme exakt in diesem Augenblick herein.
    Ich höre Schritte. Er kommt rein, setzt sich an den Tisch, schweigt. Ich begrüße ihn höflich im Stehen. Selbstverständlich antwortet er nicht. Er studiert »meine Akte«. Dann erhebt er sich und geht zum Fenster.
    »Sind Sie ausgeschlafen?«, fragt er ganz nebenbei.
    »Hm, es geht.« Ich verstehe nicht, warum dieser Mensch die Angewohnheit hat, niemandem in die Augen zu schauen. Er starrt entweder aus dem Fenster oder auf den Boden.
    »Ich denke, Sie müssen ausgeruht sein, wenn Sie derart zu spät kommen.«
    »Ich konnte schlecht schlafen in der Nacht.«
    »Wieso?«
    »Schlafstörungen.«
    »Haben Sie Sorgen?«
    »Nein.«
    »Es würde mich nicht wundern, wenn Sie Sorgen hätten.«
    »Ich habe keine Sorgen, Herr Direktor.«
    Er spricht, als würde er sich mit mir über das Wetter unterhalten.
    »Das glaube ich kaum, Hrózová. Wir wissen eine Menge über Sie, Hrózová.«
    Ich schweige, es gibt nichts, was ich darauf antworten könnte. Solche Gespräche kenne ich. Hunde, die bellen, beißen nicht.
    »Mademoiselle hat sich entschieden, nach Deutschland zu fahren.«
    Dieser Satz geht mir bis ins Mark. Ich bin schockiert. Das ist das einzige Thema, über das ich auf keinen Fall sprechen will. Das einzige Thema, bei dem ich mich schwach und unvorbereitet fühle. Gerade jetzt. Wie ist es möglich, dass er zwei Tage nachdem wir den Brief bekommen haben schon Bescheid weiß? Ich denke an meinen Freund. Theoretisch könnte es sein, dass er es war, der gequatscht hat. Praktisch – undenkbar. Das würde er niemals tun. Er hasst ihn genauso wie ich. Er würde ihm niemals den Knochen geben. Nein, mein Freund ist es nicht gewesen.
    Drobina? Noch unwahrscheinlicher. Diese gute Seele würde sich lieber zu Tode foltern lassen als mich verraten. Ich bin mit meinem Latein am Ende und schweige, weil mir keine »richtige« Antwort einfällt.
    »Du sagst nichts, was hat das zu bedeuten?«, fragt er und schaut schräg an mir vorbei. Das wäre ein Ding, wenn ich ihn auch duzen würde!
    »Wie meinen Sie das?«
    »Dass du mir nicht antwortest. Was das zu bedeuten hat, Hrózová?«
    Mein Fehler. Peng. Einmal nicht aufgepasst, schon laufe ich in die Falle. Lieber Gott, lass mich das durchstehen, lass mich keinen Fehler mehr machen und alles

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