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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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Verkäuferin an der Wursttheke. »Gutetag. Sprächensä Deutsch?«
    Ich muss lachen. Sie sieht verdammt komisch aus, meine Mutter.
    »Was bedeutet das?«
    »Guten Tag. Sprechen Sie Deutsch?«
    »Toll, Mutter.«
    »Ja, ne?«
    Ich schmiede Pläne, packe meinen Schmuck und die Winterklamotten zusammen, ohne meiner Mutter davon zu erzählen. Mit ihr muss ich »piano« umgehen. Aber eigentlich habe ich erreicht, was ich erreichen wollte. Zwar hat sie sich zu der Flucht noch nicht entschieden, aber sie ist damit einverstanden, dann in Deutschland eine Entscheidung zu treffen. Ich denke, bis dahin habe ich sie weichgeklopft.
    Ich brauche Geld. Deshalb möchte ich meine Kleidung unauffällig verkaufen. Es wird nicht einfach sein, ich muss mir zu jedem Kleidungsstück eine Geschichte ausdenken, weshalb ich es loswerden möchte. Es darf keineswegs verdächtig wirken. Da klingelt es plötzlich. Ich öffne die Tür. Mein Freund lehnt an der gegenüberliegenden Wand. Er schaut zur Seite. Normalerweise würde er selbstverständlich reingehen, mich umarmen, oder ich würde mich an ihn drücken und ihn küssen. Jetzt trauen wir uns beide nicht. Wie zwei Fremde stehen wir da.
    »Hey.«
    »Hallo, Pavel.«
    Wir schweigen wieder. Es wird mir fast zu lang, denn eigentlich habe ich heute Nachmittag keine Zeit. Mein Schauspielunterricht ruft. Diesmal kann ich aber nicht drängen. Diesmal werde ich meine Schauspielstunde sausen lassen müssen, denn mein Freund verdient, mit Samthandschuhen angefasst zu werden. Er sieht entzückend aus, so schmal und jung, die Adern an den knochigen Handrücken treten hervor, und auf den braunen Armen zeichnen sich einige zarte Muskeln ab. Wahrscheinlich sind sie sehr warm. »Ich habe dich vermisst«, sage ich.
    Er rührt sich immer noch nicht. Ich frage mich, wie es weitergehen soll. Auch ich muss über meinen Schatten springen, statt die beleidigte Leberwurst zu spielen. Auf ihn zuzugehen wäre die beste Lösung. Die schwerste. Ich warte, ob eine Reaktion von ihm kommt. Nichts. »Willst du reinkommen?«
    »Bist du allein?«
    »Nein, meine Mutter ist zu Hause.«
    »Können wir wohin gehen?«
    »Ja.«
    Endlich löst sich der Knoten.
    Ein paar Häuserblocks weiter befindet sich ein Bach, dahinter endet die Stadt. Bis auf einige Erbsenfelder ist dort nichts mehr. Ich liebe diese Leere. Diesen weiten Blick und den Himmel mit dem Vogelgezwitscher. Wenn es nicht so viele Ameisen gäbe, säße ich dort täglich stundenlang.
    Langsam schreiten wir durch die Felder, schweigen viel, halten uns an den Händen, essen eine Menge Erbsen.
    »Leni, ich bin sehr unglücklich, dass du gehst.«
    »Ich weiß. Ich bin es auch, mein Liebster.«
    »Weshalb gehst du dann?«
    »Weil ich gehen muss, weil ich dieses Land hasse. Ich bin hier unfrei, ich möchte eine andere Sprache lernen, ich will mir Sachen kaufen, die mir gefallen, ich will ein besseres Leben haben.«
    »Ist es hier so schlecht?«
    »Ja. Ehrlich gesagt ist das Leben hier stinklangweilig. Weißt du, dass ich mittlerweile mit deinem Nachnamen genannt werde? Neulich ruft Aleš mir nach: ›Nývltová, wo ist dein Alter, ich muss mit ihm sprechen.‹
    »Dieser Arsch!«
    »Nein, er ist kein Arsch, das ist die Stadt, die Engstirnigkeit, die Gewohnheit der Menschen hier. Niemand ist daran schuld, es ist nun mal so. Aber verstehe mich, dass ich nicht mit 18 heiraten und sofort Kinder kriegen möchte. Was kommt dann? Alles vorhersehbar. Nach zwei Jahren das zweite Kind, ein Jahr später die Scheidung, dann kommt ein neuer Mann, der mir noch das dritte Kind macht, und außer kochen, stillen, putzen, fernsehen, stillen, Kaffeeklatsch, dem Mann die Zeitung bringen, weil er so schwer arbeitet, kochen, putzen usw. erlebe ich nichts. Da bin ich lieber tot.«
    »Mit so was macht man keinen Spaß«, sagt er.
    »Entschuldige. Das sehe ich auch so, Pavli. Die Zukunft hier sieht aber so aus. Zumindest meine. Nein, Pavli, das will ich nicht, das halte ich nicht aus.«
    »Du kannst nach Prag gehen.«
    »Ja, will ich aber nicht. In Prag möchte ich Schauspielerin werden. Das geht aber ohne Konservatorium nicht. Es gibt keine zweite Chance. Wie oft soll ich dir das noch sagen? Man darf sich nur ein Mal am Konservatorium bewerben, so sind die Bestimmungen.«
    »Das stimmt nicht, du kannst die DAMU noch versuchen«, behauptet er verzweifelt.
    »Ja! Aber die haben 3000 Bewerber! Pavli, mach die Augen auf, das schaffe ich nie! Und ein Visum in den Westen kommt auch nicht alle Tage! Sieben

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