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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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zerstören, wovon ich jahrelang geträumt habe.
    »Wir fahren für 14 Tage in den Urlaub.«
    »Du und deine Mutter …« Er blättert in den Unterlagen. »Die Friseurin, ich kenne deine Mutter. Sie ist gut im Geschäft. Noch …« Ich lese die zynische Verachtung in seiner Fresse. »Hm … Urlaub.«
    Er schweigt erneut, doch diesmal schaut er mich durchdringend an. Zum ersten Mal. Mein Herz sackt in die Hose und ich fange an zu zittern.
    »Weshalb?«, fragt er.
    »Weshalb? Ja, um, um, um uns die Städte anzuschauen.«
    »Welche Städte? Erzähl mir doch ein bisschen, was ihr vorhabt? Welche Städte wollt ihr euch anschauen?«
    Er zieht die Wörter so komisch auseinander.
    Ich weiß nichts von Deutschland. Gar nichts. Die Sprache, die Menschen, die Mentalität, die historischen Ereignisse, von alldem habe ich keine Ahnung. Bis auf die Motorradfahrer mit ihren Ketten weiß ich nichts. Im Unterricht haben wir, außer einer ausführlichen Anti-West-Propaganda, ganz wenig über unsere Nachbarn erfahren. Oder es muss mir irgendwie entfallen sein. Ich versuche abzulenken: »Und außerdem wollen wir unsere entfernten Verwandten besuchen.«
    Er sagt nichts, schaut mich immer noch an.
    »Die wohnen in der Nähe von Stuttgart. Wir würden uns gerne Stuttgart anschauen.«
    Ich fühle mich erleichtert. Wie wunderbar, dass mir Stuttgart eingefallen ist.
    »Und weiter?«
    »Weitere Städte?«
    »Nein, die Verwandten. Die interessieren mich.«
    »Hm … die heißen … die sind, Ivana ist die Schwester von Maria. Maria ist die Frau von Onkel Jarek und Jarek ist Mutters Bruder … und sie …«
    »Du kannst deine Aufzählung beenden. Hast du mit ihnen bereits Kontakt aufgenommen?«
    »Noch nicht, Herr Direktor.«
    »Wie sind diese Personen in die Bundesrepublik gelangt?«
    »Völlig legal, Herr Direktor!«
    »Aha, ich habe von Legalität oder Illegalität gar nicht sprechen wollen. Das ist aber ein interessantes Thema, Hrózová. Ist es das, was dich nachts nicht schlafen lässt?«
    »Nein, Herr Direktor!«
    »Wie reist ihr in die Bundesrepublik?«
    »Mit dem Auto.«
    »Und dann?«
    »Fahren wir wieder zurück.«
    »Legal?«
    »Wir haben doch ein Visum, Herr Direktor!«
    »Ja, habt ihr?«
    »Natürlich!«
    »Verzeihung, das musst du besser wissen als ich. Ich kann das ja nicht ahnen. Mich wundert es sehr, dass du und deine Mutter ein Visum bekommen habt. Unverantwortlich. Und außerdem darfst du gar nicht ausreisen, du hast Verpflichtungen hier, in deiner Heimatstadt. Du bist zur Sommerbrigade gemeldet, Hrózová.«
    »Von wem haben Sie denn das mit dem Visum erfahren?«
    »Spielt das eine Rolle, Hrózová?«
    »Nein … Und weshalb sitze ich hier, Herr Direktor?«
    Er steht auf, klappt meine Unterlagen zusammen und sagt: »Weil Sie verschlafen haben. Sie können abtreten, Hrózová.«
    Ich erhebe mich, schaue ihn an, gehe zur Tür.
    »Ich hätte gerne die Adresse deiner Verwandten in Aalen. Und zwar morgen.«
    »Aber …«
    »Abtreten.«
    Beim Hinausgehen stoße ich beinahe mit der Sekretärin zusammen, die gerade dabei ist, in sein Zimmer zu treten. Durch den Türspalt sehe ich noch, dass er zum Telefonhörer greift.
    Ich stehe im Flur. Die Tränen laufen mir über die Wangen, sie sind nicht zu stoppen. Eine Hitze überfällt mich, und mein Magen schrumpft auf die Größe einer Nuss. Jetzt bin ich völlig verwirrt. Was sollte das Ganze? Und wieso hat er »Aalen« gesagt? Woher konnte er das wissen, ich habe Aalen nie erwähnt.
    Der Flur ist menschenleer, nur ein Wirrwarr an Stimmen dringt aus den Klassenzimmern. Die Schüler sitzen dort, die Lehrer üben ihre Autorität aus. Am liebsten würde ich weglaufen, zu meiner Mutter, auf ihren Schoß krabbeln. Der Drecksdirektor hat mich in eine Panik versetzt, eine Urangst, in etwas Schauerliches.

PLÄNE WERDEN UNTERBROCHEN
    Zu Hause angekommen, sehe ich meine Mutter, wie sie im Buch »Der, die, das – Deutsch für Anfänger« blättert. Sie versteckt es kurz, doch als sie merkt, dass keine von uns beiden versteht, warum sie es versteckt, holt sie das Buch unterm Tisch hervor.
    »Wo hast du das gefunden?«, frage ich überrascht.
    »Hatten wir im Regal.«
    »Hast du es dir überlegt?«
    »Ich habe doch vor Jahren Deutsch gelernt. Muss einiges auffrischen …«
    Ich beobachte sie, wie sie wichtigtuerisch studiert, und freue mich. Ein positives Zeichen, endlich. Dann sagt sie trocken: »Tja, ich muss alles auffrischen, ich weiß nichts mehr.«
    Sie stellt sich hin und glotzt wie eine

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