Paradiessucher
Jahre warten wir auf das verdammte Visum! Ich muss weg.«
Er schaut irgendwo in die Ferne, meine Sätze verletzen ihn, er kann sie nicht verstehen. Wie auch. Ich würde genauso reagieren. Die Sonne brutzelt wie verrückt und ich schwitze. Es stört mich nicht, das Thema ist zu wichtig. Er fasst mich bei der Hand und drückt sie, als wäre sie aus Knetmasse.
»Ich habe ein Geschenk für dich.« Er zieht aus der Hosentasche ein silbernes Kettchen mit einem Anhänger in Form eines Büchleins. Das Büchlein lässt sich öffnen. Ich bin gerührt, obwohl es leer ist. Vielleicht weil ich spüre, dass er meinen Entschluss akzeptiert. Wir gehen auseinander. Das steht fest. Er gibt mir ein Abschiedsgeschenk, ein persönliches. Das passt gar nicht zu ihm. Ich frage nicht, woher er es hat, möglicherweise gehört es seiner Mutter oder Schwester. Das ist nicht mehr wesentlich.
»Steck unsere letzte Kinokarte hinein.«
»Ja, das tue ich. Es ist wunderschön, Pavli. Danke schön.«
Ich will es umhängen.
»Nein, noch nicht, warte damit. Erst, wenn du drüben bist.«
Und ich denke: Weshalb muss ich so was Wertvolles wie unsere Liebe zerstören?
Es wird Abend. Unsere Gesichter glühen von der Sonne, meine Karottenhose hat grüne Flecken vom Herumwälzen im Gras, und Pavel kann keine Fotos mehr machen, der Film ist voll. Unsere Wege trennen sich. Morgen ist Schule. Die letzten zwei Wochen vor den Schulferien. Für mich die letzten Wochen überhaupt.
VERLORENE BAROCKFIGÜRCHEN
Meine Mutter sitzt in dem Cordsessel mit dem braunen Blumenmuster und raucht. Ich grüße sie. Sie ist unruhig.
»Ahoj, Leni.«
Wir scheinen nicht allein zu sein. Jemand raschelt in der Küche. Ich hoffe, dass es nicht Matëj ist. Auf Matëj habe ich wirklich keine Lust. Er ist es. Ich zische seinen Namen, meine Mutter nickt. Genervt begrüße ich ihn und verschwinde in meinem Zimmer. Im Gegensatz zu mir hat meine Mutter kein Glück mit Männern. Es sind oft Bekanntschaften, die nach kurzer Zeit zerbrechen. Matëj, ihr aktueller Freund, ein Barkeeper mit gegeltem Haar, arbeitet in der Schlossbar. Ich mag ihn nicht und die Bar noch weniger. Ich mochte keinen ihrer Freunde. Wahrscheinlich will ich unterbewusst das Ehebett nicht freigeben, deshalb ekle ich langsam, aber sicher alle ihre Liebhaber aus dem Haus. Es sind nicht wenige gewesen, denn meine Mutter ist eine attraktive Frau. So wird es zumindest von ihr behauptet. Ich habe nicht den nötigen Abstand, um ihre Schönheit zu beurteilen. Die blond gefärbte Mähne, die schlanke Figur, ihre kleine, schmale Nase – um die ich sie, seit ich denken kann, beneide – und die grünen Augen fallen jedem auf. Und wie kokett sie ist. Wie eine Brigitte Bardot benimmt sie sich. Im Gegensatz zu mir. Aber für mich ist sie einfach meine Mutter, die immer gleich aussieht.
Meine Mutter kann nichts für sich behalten, der Barkeeper weiß schon von unserem Vorhaben. Das ist typisch, sie weiß nicht einmal, ob sie in Deutschland bleiben wird, erzählt es aber ausgerechnet diesem schmierigen Wechsler. Ja, ein Wechsler ist er, und obwohl er sich selber als seriösen Geschäftsmann in Sachen »Devisentausch« bezeichnet, würde er auch mit Klopapier Geschäfte machen, wenn er könnte. Er hört sich ihre Geschichte gierig an, ist ja auch spannend, was sie da sagt. Warum er allerdings auf einmal selber Auswanderungspläne schmiedet, ist mir nicht klar. Er muss sie, bevor ich nach Hause kam, mit meiner Mutter hundertmal durchgekaut haben, denn sein Vorhaben klingt wie vom Fließband. Etwa so: Er arbeitet noch eine Weile in seiner fragwürdigen Bar, bis er einigermaßen Geld gescheffelt hat, beantragt dann ein Visum nach Deutschland, was anscheinend für ihn kein Problem ist, trennt sich von seiner Frau und den zwei Kindern, was für ihn auch ein Klacks ist, und kommt nach. Zu uns! Nach Deutschland.
»Wozu?«, rufe ich aus meinem Zimmer. Meine Mutter faucht mich an, und ich halte meine Schnauze. Es ärgert mich, dass sie keine Einwände macht, sie ist ja nicht mal verrückt nach diesem Typ. Und was bezweckt er damit? Dieser Mensch mit so viel Gel im Haar lügt doch wie gedruckt.
»Wie wäre es, Nadi, wenn du deine Wertsachen, die du wiederhaben möchtest, vorübergehend bei mir versteckst. Ich bringe sie dir mit, wenn ich nachkomme. Du willst sie doch nicht den Kommunisten überlassen«, sagt er lässig, während er sich seine hundertste Zigarette in den Mund schiebt.
»Ja, das wäre vielleicht nicht schlecht«,
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