Paraforce 6 - Die Stunde der Bestie
Milchglasscheiben der Eingangstür gingen klirrend zu Bruch, das Licht im Flur begann zu flackern, dann flog die Haustür wie bei einer Explosion aus dem Rahmen.
*
Tobias Salcher schlug die Augen auf, drehte sich nach rechts und starrte auf den Reisewecker. Ein Blick auf das Zifferblatt zeigte ihm, dass er keine drei Stunden geschlafen hatte.
Da war es wieder, jenes seltsame Gefühl, das ihn beherrschte, seit er diesen Fall übernommen hatte. Er richtete sich auf, schwang die Beine über den Bettrand und setzte seine nackten Füße auf den kalten Fußboden. Obwohl er seit Sonntag kaum mehr als vier Stunden am Tag geschlafen hatte, verspürte er nicht die geringsten Anzeichen von Müdigkeit.
Irgendetwas hatte ihn erfasst und trieb ihn ständig voran.
Was genau es aber war, konnte er sich noch nicht erklären.
Beinahe mechanisch griff er nach seinen Kleidern, die hinter ihm auf der unbenutzten Seite des Doppelbetts lagen, und machte sich auf den Weg ins Bad. Als er zurückkam, schlüpfte er in die Schuhe.
Im gleichen Moment klingelte sein Handy.
Ein Blick auf das Display zeigte ihm die Telefonnummer der örtlichen Polizeidienststelle.
Es war kurz nach 2 Uhr morgens, trotzdem war Salcher nicht überrascht, Braun in der Leitung zu haben. Irgendwie schien er es vorausgeahnt zu haben.
»Ja?«
»Ich bin in fünf Minuten bei Ihnen«, sagte sein Kollege.
Der Empfang war mies, eine Tatsache, die den verwinkelten Tälern und hohen Bergen des Landes geschuldet war, trotzdem war für Tobias klar zu hören, dass die Stimme des Reuttener Bezirkspolizeikommandanten fast am Überschnappen war.
»Was ist passiert?«
Piep, piep, piep …
Statt einer Antwort hatte er einfach aufgelegt.
Fünf Minuten später stand Tobias Salcher vor der Pension auf der Straße.
Fröstelnd zog er sich den Reißverschluss seiner Windjacke bis unters Kinn. Für Anfang Oktober war diese Nacht ungewöhnlich kühl, deshalb war er froh, bei seiner überstürzten Abreise aus Innsbruck daran gedacht zu haben, sich auch ein paar warme Sachen einzupacken. Nachdem er den Kragen hochgeschlagen hatte, schob er die Hände in die Taschen der Jacke und starrte angestrengt in jene Richtung, aus der Braun kommen musste, wenn er vom Revier aus losgefahren war.
Keine Minute später durchbrachen auch schon die runden Lichter zweier Autoscheinwerfer die Dunkelheit. Dann war das ungleichmäßige Schnarren eines altersschwachen Dieselmotors zu hören und kurz darauf hielt der Wagen direkt neben ihm am Pensionseingang. Braun öffnete die Beifahrertür und machte eine abwehrende Handbewegung, als Tobias neben ihm Platz nehmen wollte.
»Steigen Sie bitte hinten ein, wir müssen noch jemand abholen.«
Der Innsbrucker verzog beim Anblick des Fahrzeugs abfällig den Mund. Braun saß nicht wie üblich hinter dem Steuer eines Dienstfahrzeugs, sondern in seinem Privatwagen. Dieser fahrbare Aschenbecher, wie er ihn ironisch bezeichnete, trug die Bezeichnung Kleinwagen in der Tat zu Recht. Mit seinen 186 Zentimetern hatte Tobias bereits Schwierigkeiten, seine Beine im Fond des Wagens unterzubringen, auf dem Rücksitz schien dies nahezu unmöglich zu sein.
»Kann der nicht …«, versuchte er Braun deshalb umzustimmen, aber der Inspektor schüttelte postwendend den Kopf.
»Soll ein hohes Tier von der Regierung sein, außerdem noch etwas älter als wir beide.«
»Und warum, aua, verdammte Scheiße …«, fluchte Tobias, während er verzweifelt versuchte, seine Knie im Rückraum des Wagens hinter dem Beifahrersitz zu verstauen. »Warum haben Sie dann keinen Dienstwagen genommen, wenn ich fragen darf?«
»War keiner mehr frei. Jeder, der irgendwie bei der Polizei arbeitet, ist zum Lugginger raus auf seinen Hof gefahren.«
Tobias Salcher zuckte zusammen, als hätte er mit den Fingern in die Steckdose gefasst. Seine Nackenhärchen stellten sich auf, und obwohl er als Polizist bereits einiges gewohnt war, konnte er nicht verhindern, dass ihm bei der Erwähnung des Namens Lugginger plötzlich ein kalter Schauer über den Rücken lief.
»Lugginger … ist das nicht der mit dem Bluatschink?«
»Genau der«, bestätigte Braun düster und ließ den Wagen langsam die Straße hinunterrollen.
»Sein Hof ist abgebrannt, Kurzschluss sagen die Sachverständigen.«
»Das ist zwar tragisch, aber was hat das mit unserem Fall zu tun?«
Braun brachte den Wagen wieder zum Halten und drehte aus zwei Gründen den Kopf zur Seite. Erstens, weil neben Ihnen am Straßenrand eine hagere
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