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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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selbst zu erzählen begann.
    Sie verstand sie nicht, konnte sie nicht verstehen, obwohl sie ahnte, dass der Mann es von ihr erwartete. Wegen der Atemnot wurde alles ein wenig rot und neblig. Sie sah mehr als nur das, was sie anschaute, der Anblick aber drang ungehindert in sie ein. Sie konnte sie nicht verstehen, denn in ihrer erotischen Erfahrung herrschte die rasche, fordernde, mit falscher Sentimentalität erzwungene Befriedigung vor. Ein Schauspiel, dessen Szenen schon mehr oder weniger festgeschrieben waren. Nicht dieses Kühle, Zurückhaltende, Leidenschaftslose, dieses ganz und gar auf die Person Zugeschnittene und In-sich-Gekehrte, Ferne, zu Überraschungen und Improvisationen Tendierende. Es hatte ein paar Wochen gegeben, in denen sie glauben konnten, dass sich ihre Temperamente ergänzten, aber jetzt mussten beide feststellen, dass sich nicht einmal ihr Fremdsein ergänzte. Dass sie sich weiter, immer weiter voneinander entfernten. Gyöngyvérs Leben spielte sich zwischen den steilen Ufern von fatalem Ehrgeiz und kleinkarierten existentiellen Schwierigkeiten ab, und so riskierte sie mit Männern nur selten etwas, das sie nicht kannte. Mit Frauen noch eher, aber vor denen hatte sie Angst. Entbehrung, Mangel, Notwendigkeit und Verzicht waren stärker und legten im Voraus fest, was sie kennen durfte, was nicht erlaubt war und worauf sie verzichten musste.
    Wohin das Auge reichte, sah sie nichts als flaches Land, Ödnis, und sie trabte auf den Horizont zu, hinter dem sich ein weiterer auftat. Wo immer sie ankommen mochte, es sah genauso aus wie am Ausgangspunkt. Während doch eine unnahbare, unbekannte, lockende Anhöhe, die sie unbedingt erklimmen wollte, im Dunst zitternd vor ihr stand, Trugbild und Luftspiegelung.
    Jetzt vielleicht komme ich dahinauf, dachte sie. Sie stellte es sich so vor, dass es in ihrem Leben einen großartigen Augenblick geben würde, in dem alles auf einen Schlag gut wird. Eine solche Wende war das jetzt nicht, aber zum mindesten ahnte sie, dass dieser Mann schon immer von einem anderen Punkt ausgegangen war und ganz anderswohin gelangen wollte als sie. Er ging durch eine andere Gegend. Es war wirklich schwer zu begreifen, wie sie ihm bei etwas folgen konnte, das den natürlichen Bedürfnissen so widersprach. Welche Prinzipien, welche Prägungen musste sie verraten, wenn sie tatsächlich nachgeben, tatsächlich nichts verlangen wollte, was dieser Mann offensichtlich nicht begehrte und auch bis dahin wahrscheinlich nur dem Anschein nach begehrt hatte. Einen Augenblick durchzuckte sie der Gedanke, der ist doch schwul. Und was sollte sie jetzt ohne ihn mit sich anfangen. Der wollte ja nicht bloß nicht in ihr kommen, wofür sie schon keine akzeptable Erklärung fand, sondern der wollte nicht einmal in sie eindringen, und ihm nahekommen durfte sie auch nicht. Der turnt da für sich herum. Unerträglich, aber wahr. Worauf soll man noch verzichten.
    In Grenzsituationen hilft Benommenheit. Hinter den gelähmten Sehnsüchten, den rohen Instinkten und eigensinnigen Innerviertheiten tritt das andere Ich hervor und handelt sofort. Es weiß genau, was es zu tun hat. Das kommt nicht oft vor, aber wenn doch, dann beurteilt man die eigene Situation nicht mehr aufgrund von Erfahrungen und schon gar nicht den gesellschaftlichen Spielregeln gemäß. Ihr Schoß sehnte sich nach Ágosts rauen, starken Händen. Sie überlegte, ob sie von hinten an den Mann herantreten sollte, sich ihm anschmiegen, ihn umarmen, ihm den Schwanz aus der Hand nehmen, oder ob sie ihn gleich von vorn anfallen sollte. Ihn küssen, ihn mit ihrem Schoß schlucken, sich mit dem Bauch an ihn haften. Sie tat das alles nicht, und nicht nur wegen des Verbots nicht, sondern weil das, was sie sah, mehr als verständlich war.
    Jetzt sah schon ihr anderes Ich mit seinen Augen aus ihrem Kopf hinaus.
    Diese ganze Schwanzgeschichte, dieses ganze Tamtam um seinen Schwanz wurde zu einem bedrohlichen, mächtigen Naturereignis, das sie zuerst einmal zur Kenntnis nehmen musste. Und bis dahin hatte sie wirklich nichts zu sagen, durfte sich wirklich nicht rühren, sich ihm nicht nähern. Ihr Körper pulsierte mit der Atmung, oder ihre immer heftigere und immer heftiger zurückgehaltene Atmung pulsierte zusammen mit ihrem Körper. Tief in ihrer braunen Haut breiteten sich die roten Flecken der Erregung aus, an ihrem Hals, an den starken Knochen ihres Gesichts, an ihrer eigensinnigen kleinen Stirn. Sie hatte das Gefühl, die heiße Nässe, die ihre

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