Parallelgeschichten
Hilferuf. Als sie wieder hatte laufen können, ohne sich irgendwo festhalten zu müssen, hatte sie sich einen Mantel beschafft. Sie verstand auch nicht, worauf Mária hinauswollte, aber sie hatte das ungute Gefühl, dass es etwas Fatales war. Sie hatte gefroren, fortwährend gefroren, geschlottert, hatte den Mantel angezogen und sich ins Ungewisse aufgemacht.
Sie hatte schwer an dem Mantel geschleppt.
Wie kannst du so was Dummes fragen, stöhnte sie.
Ich muss einfach. Antworte.
Aber wie soll ich denn antworten, um Himmels willen. Ein bisschen christliche Demut würde dir wirklich guttun.
Mária lachte, was nicht hieß, dass sie auf die Antwort verzichtete.
Auf der besonnten, leeren Straße war keine halbe Stunde vergangen, bis eine Militärpatrouille sie wieder in die Krankenbaracke zurückspedierte.
Mária stand reglos vor ihr in der Tür, Elisa wimmerte weiter.
Danach lag sie wieder tagelang hilflos und fiebrig auf der Pritsche.
Beim zweiten Mal rumpelten zwei tschechische Bauern auf dem Fuhrwerk mit ihr zurück. Sie waren zum Pflügen unterwegs, und jetzt mussten sie sich mit der da rumschlagen; in ihrer unverständlichen Sprache fluchten sie auf die Mutter der jüdischen Hure.
Ty zkurvená židovská děvko.
Sie musste aufpassen, nicht in den scharfen Pflug hineinzurutschen, der im Gleichtakt mit ihrem verletzlichen Körper geschüttelt wurde. Du verfickte jüdische Hure, oder so ähnlich. Es fiel ihr schwer, diese Bilder zu ordnen.
Hättest auch lieber abkratzen sollen.
Irgendetwas in der Art sagten sie, während sie sie vorsichtig vom Fuhrwerk hoben.
Mělas radši zdechnout.
Als Erstes kam ihr der Mantel in den Sinn und der Geruch des groben Filzes, und darüber doch wieder das Dienstbotenzimmer, in dessen Tür sie nicht einmal so sehr vom Anblick, der sich ihr bot, wie von der tierischen Ausdünstung der beiden Körper festgehalten wurde, und, ja, sie hatte nicht zugelassen, nicht abgewartet, dass man sie zusammen mit den anderen wegbrachte.
Weißt du, warum du fragst, hätte sie vorsichtig und leise wissen wollen. Übrigens, Prachatice, so heißt der Ort, antwortete sie. Es würde mich wirklich interessieren, warum es dich interessiert.
Wo zum Teufel ist Prachatice, fragte Mária mit einer Betonung, als fände sie schon den unbekannten Ortsnamen empörend. Ein bisschen schadlos halten durfte sie sich. Nach so vielen Jahren durfte auch Irma bestraft werden.
Wie soll ich es sagen.
Irma Arnót in ihrer sanften Art hätte Mária Szapáry eigentlich gern geantwortet.
Der Landkarte gemäß, ich habe seither mehrmals nachgeschaut, ist die Grenze etwa fünfzig Kilometer von Regensburg entfernt, genau im Osten.
Ihre Bereitwilligkeit war aber ebenfalls stille Rache. Als sagte sie im Voraus, dir wird die Frage noch leidtun.
Sie trieben uns durchs Regental, weißt du, über den Pass, jedenfalls die, die das durchhielten, den Namen des Passes kenne ich nicht. Vielleicht nicht einmal sehr weit weg. Etwas näher zu České Budějovice, falls dir das etwas sagt. Budweis hieß das früher, noch zu glücklichen Friedenszeiten, in der Monarchie. Die anderen, die kaum mehr kriechen konnten, trieben sie in einen Heuschober und zündeten den an. Das passierte am zweitletzten Tag, stell dir das mal vor. Wir hingegen durften weitermarschieren.
Das kenne ich irgendwoher, dieses České Budějovice, vielleicht aus dem Schwejk.
Darauf versanken sie in einem Lächeln, das im Gesicht der anderen aufging und dem berühmten Helden des noch vor dem Krieg gelesenen Buchs galt, sie lachten sogar kurz auf.
Später kamen von dort die tschechischen Ärzte zu uns heraus, von Budweis, fuhr Irma fort, noch heiter vom Lachen. Aber ich möchte endlich wissen, warum du fragst, sagte sie scharf.
Mária schüttelte eine Weile den Kopf.
Eigentlich weiß ich auch nicht, warum ich nach Hause gekommen bin, antwortete sie ausweichend. Was natürlich ganz etwas anderes ist, ich weiß, man kann unsere Geschichten nicht vergleichen. Ich weiß nicht recht, wie ich dir antworten soll. Schließlich sind wir beide historisch gesehen an unserem angestammten Ort. Darüber denke ich in letzter Zeit nach. Irgendwie ein Fluchtinstinkt. Das ist ganz stark in mir. Als ginge man davon aus, dass das, was geschieht, so seine Ordnung hat, natürlich ist. Das kann ich nicht akzeptieren.
Ja, wahrscheinlich kann auch ich das nicht verdauen, denn es ist nicht so.
Doch sie fühlte, dass es keinen Zweck hatte zu insistieren, Mária würde nicht ehrlich
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