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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Gefühlsseligkeit ermüdend, auch wenn sie ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten laut bewunderte.
    Irma zog das Fleisch auf Márias Fingerkuppe leicht auseinander und schaute überrascht in die Wunde.
    Das hast du ganz gut abgedrückt, sagte sie zärtlich und still.
    Ich weiß gar nicht warum, aber mich ekelt immer stärker vor Blut. Jedenfalls in letzter Zeit. Schon die Vorstellung, dass es dauernd in einem drin fließt und pulsiert.
    Ja, ein ziemlich unangenehmes Gefühl, sagte Irma und blickte von der Wunde auf.
    Sie liebte die groben und verzeichneten Züge dieses vertrauten Gesichts so sehr, dass es ihr zuweilen den Atem verschlug.
    Vorhin habe ich fast kotzen müssen, als ich es im Mund hatte.
    Das ist etwas, das du nicht allein verarbeiten kannst.
    Was heißt, ich kann nicht, fragte Mária überrascht, offenbar an einem empfindlichen Punkt getroffen. Woher weißt du, was ich kann und nicht kann.
    Es ist nichts Ungewöhnliches, so meine ich es, du bist nicht allein damit.
    Obwohl mir das ziemlich fernliegt, ich meine, Ekel und Abgestoßensein, jedenfalls hoffe ich, dass es mir fernliegt, fuhr Mária etwas verunsichert fort.
    Zum Beispiel habe ich in Fett und Zwiebeln gebratenes Blut immer besonders gemocht.
    Nicht mal anschauen könnte ich das.
    Wir hatten eine Köchin, die dünstete zusammen mit den Zwiebeln etwas grünen Paprika und Apfelschnitten. Oder Fasanenblut mit Preiselbeeren, köstlich, kann ich dir sagen.
    Zum Glück musste ich das nie essen, in einer anständigen jüdischen Familie tut man ja so etwas nicht, es klingt aber auch nach etwas ziemlich Brutalem.
    Ich bin auch auf die Jagd gegangen, und dann hat man ja auch, solange noch möglich, ordentlich menstruiert.
    Wenn nicht unordentlich.
    Bleib noch ein bisschen.
    Das wird nicht mehr bluten, aber bestimmt hast du da im Wandschrank Wundpulver. Hat zwar nicht viel Sinn, aber wir wollen es doch brav desinfizieren. Vielleicht habe ich dir noch nie erzählt, dass uns im Lager die Menstruation einfach ausblieb.
    Es braucht nicht mal das Lager dazu, Irmuschlein. Ich für mein Teil habe diese liebe Gewohnheit im Majestic aufgegeben.
    Ausgenommen die Kapos, die hatten ihre Menstruation, und nicht bloß, weil sie was zu essen hatten. Und auch die Blockälteste, auch die menstruierte, die hatten feste Liebhaber, lebten gewissermaßen ein normales Geschlechtsleben, und bekamen extra Margarine. So was ist schon eine Bedingung. Ich brauche noch ein Stückchen Heftpflaster, eine Schere, und dann verarzte ich dich ordnungsgemäß.
    Immerhin, die Fürsorge tat Mária gut, die in diesem Augenblick darum betete, Irma möge mit ihrer Geschichte nicht fortfahren, aber trotzdem ein Bedürfnis nach Nähe hatte, weil es selten vorkam, dass nicht sie sich um die Dinge kümmern musste.
    Und da gehörte eben auch diese Geschichte dazu.
    Mária kümmerte sich seit mehr als zwanzig Jahren um Elisa, und da waren Fliegeralarme mit eingerechnet, Bombenangriffe, Keller, Verhaftung, während deren sie nicht wusste, ob jemand anders nach ihr sah, die endlosen Tage der Belagerung, der Krieg. Sie hätte dreinreden, ein anderes Thema finden sollen, aber es kam ihr nichts in den Sinn, womit sie Irma ablenken konnte, und sie dachte an den Fliegerangriff, als man Elisa nicht in den Keller hatte hinunterschleppen können und sie gerade in diesem Badezimmer ihren Kopf in den Schoß genommen hatte. Falls etwas geschah, sollte sie es wenigstens nicht sehen.
    Es war vorgekommen, dass sie hier, zwischen den zitternden Wänden und Gläsern, nicht anders konnten, als sich in ihrer Angst zu küssen und abzulecken, als hätten sie es eilig. Verlegen und ein bisschen ungeschickt wischte sie sich wieder mit ihrer heilen Hand das glatte graue Haar aus der Stirn und strich es sich gewohnheitsmäßig hinter die Ohren.
    Zufällig findest du da sogar Ultraseptil, sagte sie. Médi hat recht, meine ganze Wohnung ist ein einziger Saustall.
    Bestimmt ist das so, Irma setzte ihren Gedanken fort, während sie im Spiegelschränkchen alles nach und nach fand, weil einem kein anderer Besitz mehr bleibt als seine netten und weniger netten Eigenschaften. Nur das. Sehr viel mehr kann einem dann gar nicht mehr zustoßen. Oder doch, aber man hütet sich vor weiteren Verletzungen. Dein Herzschlag, das ist persönlich. Dein Blut hingegen nicht, das Blut ist unpersönlich.
    Vielleicht ist es das, wovor dich ekelt. In jüngeren Jahren nimmt man so peinliche Dinge nicht zur Kenntnis.
    Das meinst du aber nicht im Ernst,

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